Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Willkommen in Baku: Ein Grand Prix wie kein anderer

Kolumne von Mathias Brunner
​Wir haben – mit nur wenig Mühsal – Hotel und Rennstrecke gefunden, damit kann das Wochenende beginnen: Ein kleiner Reisebericht aus Baku in Aserbaidschan.

Das Motto des ersten Europa-GP in Baku (Aserbaidschan): «The speed is higher in the land of fire.» Dieser hübsche Reim hält einer Übersetzung ins Deutsche leider nicht stand, entspricht aber der Wahrheit – gehen Sie davon aus, dass Sie einen so sauschnellen Kurs in einer Stadt noch nie gesehen haben. Einige Passagen werden erfordern, was Sebastian Vettel schlicht «Eier in der Hose» nennt.

Und mit Speed hat das Abenteuer im Land aus Feuer (wir können auch reimen) in der vergangenen Nacht auch begonnen: Noch nie in meinen 34 Jahren als Formel-1-Berichterstatter hat eine Immigration so reibungslos funktioniert. Da könnten sich die Behörden manch anderer Länder eine Scheibe abschneiden.

Was schon am Flughafen auffällt und sich dann bis in die Stadt fortsetzt: Wer hier nicht merkt, dass ein Formel-1-Rennen stattfindet, dem empfehle ich dringend den Gang zum Augenarzt – an allen Ecken und Enden wird für das Rennen geworben.

Die Fahrt in die Stadt ist dann eher von der gemächlichen Sorte: Die meisten Autofahrer von Baku halten sich jetzt nicht unbedingt an jeden Buchstaben des Verkehrsgesetzes, selbst wenn wir an jeder zweiten Strassenecke einen Polizei-BMW ausmachen, mein Fahrer ist da aus gutem Grund um- und vorsichtig.

Nach einer hübschen Stadtrundfahrt (die Feuertürme bei Nacht, der Brunnenplatz) ein abrupter Stopp. Mein Fahrer kramt in seinem Englischwortschatz und entscheidet sich für: «Walk!»

Da er Anstalten trifft, meinen Koffer aus dem Taxi zu zerren, finde ich, es wäre wohl eine weise Idee, ihm zu folgen.

Wir gehen durch dunkle Gassen. In manch anderer Stadt würde ich leise beginnen, mir ein paar Gedanken zu machen, in der Art von: Ist mein Nachlass geregelt? In Baku muss ich mir wenig Sorgen machen. Die Stadt gilt als überaus sicher. Zu Fuss fallen die vielen Überwachungskameras auf.

Auf einmal eine ungewöhnliche Barriere: Eine Formel-1-Strecke! Ich komme mir ein wenig vor wie in Singapur, die Piste von der normalen Strassenbeleuchtung erhellt. Wir tauchen in eine Fussgängerunterführung, um das Band zu unterwandern, watscheln durch einen Park, neben uns die alte Stadtmauer, adrett in Szene gesetzt, vorbei an weiteren Brunnen, dann durch eines der Stadttore, und schliesslich stehen wir tatsächlich vor meinem Hotel, das am Rande der Altstadt liegt.

An der Rezeption herrscht milde Verstimmung: Die Altstadt ist von der Rennstrecke eingeschlossen, daher der Fussmarsch. Ich falle ins Bett und träume davon, dass es in Zürich eine Strassenrennstrecke gibt.

Am nächsten Morgen: Strahlender Sonnenschein, aber eine steife Brise – Land des Feuers, Stadt der Winde, fürwahr. Der Blick von der Terrasse des Hotels ist umwerfend.

An der Rezeption frage ich, wie ich nun am besten ein Taxi Richtung Marriott-Hotel erhalten würde (wie es von den Veranstaltern empfohlen wurde, von dort sei uns nur noch ein Steinwurf zum Hilton-Hotel, in dem wiederum das Pressezentrum untergebracht ist).

Drei Aserbaidschaner verfallen daraufhin in eine längere Diskussion, es werden zwei Telefongespräche geführt, dann heisst es: «Manager coming.»

Der coming Manager eröffnet mir: «Das mit den Taxis wird ganz schwierig. Die Fahrt zum Marriott könnte eine Stunde dauern. Wir sind von der Rennstrecke eingeschlossen, wir haben deswegen grosse Probleme. Ich empfehle die U-Bahn.» Er schenkt mir 20 Kopeken für die Fahrt.

Ich gehe Richtung U-Bahn-Station, verspüre dann aber unbändige Lust auf Auberginen: So nennen die Einwohner von Baku ihre London-Taxis, der Farbe wegen. Ich unterlaufe die Rennstrecke wie in der Nacht zuvor und finde tatsächlich eines der rollenden Gemüse.

Nach zehn Minuten entlässt mich der Fahrer mit ausgestrecktem Arm: «Marriott.» Vom Hotel ist zwar weit und breit nichts zu sehen, aber ich stiefle tapfer los.

Nach wenigen hundert Metern treffe ich einen herumirrenden britischen Journalisten. Er sucht das Medienhotel, das hier angeblich irgendwo liegen solle. Wir helfen uns gegenseitig: Ich weiss, wo das Medienhotel liegt, denn ich bin eben daran vorbeigegangen, er weiss, wo das Fahrerlager liegt. Ein fairer Informationsaustausch, wie ich finde.

Das Fahrerlager liegt am Fusse des Dom Sowjet. Über das monumentale Regierungsgebäude hat mir Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke diese Geschichte erzählt: «Das heisst zwar «Government House», das ist aber nicht der eigentliche Regierungssitz, sondern da sind einfach verschiedene Ministerien untergebracht. Das ist ein tolles Monumentalgebäude, und dazu erzählt man sich in Baku eine Anekdote, von der ich aber zugeben muss – ich weiss nicht, ob das so stimmt. Das Gebäude wurde zwischen 1936 und 1952 erstellt, teilweise mit Hilfe von deutschen Kriegsgefangenen. In Baku wird nun erzählt, die Deutschen seien an einem gewissen Punkt in den Streik getreten. Sie wollten nicht mehr weiter arbeiten, weil sie fanden: die Zementqualität sei zu schlecht. Sie haben erst dann die Arbeit wieder aufgenommen, als sie besseren Zement bekommen haben. Ich weiss jetzt nicht, welches Streikrecht Kriegsgefangene damals hatten, aber das ist gewissermassen ein urbaner Mythos von Baku.»

Hinter dem Regierungsgebäude thront dunkelblau das Hilton-Hotel: Glücklich, wer hier wohnen darf, denn die Preise sind so salzig wie Kaviar vom Stör aus der Kaspischen See. Dafür kann ein Formel-1-Zirkusmitglied theoretisch im Schlafanzug ins Pressezentrum oder zum Fahrerlager gehen, wenn ihm danach wäre. So wie das früher beim Grand Prix von Detroit aus dem Renaissance Center möglich war.

Das Medienzentrum ist eine herbe Enttäuschung: Wir sind in einem Ballsaal untergebracht, keine Fensterscheibe weit und breit, das entspricht so gar nicht dem sonnigen Wetter von Baku und der Freundlichkeit der Menschen.

So langsam tröpfeln meine Journalistenkollegen herbei – aus Brasilien, aus Italien, aus Japan, aus Deutschland. Wir tauschen Ankunftsgeschichten aus und erkennen: Das grösse Problem bleibt die Verständigung. Wie in anderen Ländern, wo ich vor ähnlichen Hürden stand, sage ich – so lange ich nicht arg viel mehr als «Salam» (hallo) auf Aserbaidschanisch sagen kann, kann ich nicht erwarten, dass hier alle perfekt Englisch sprechen. Aber mit Händen und Füssen haben ich mich auch im Süden von Südkorea und in Greater Noida von Indien durchgeschlagen, also wird das auch hier gehen.

In diesem Sinne: H?l?lik! (Auf Wiedersehen.)

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