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Phil Read lüftet das Geheimnis des Belgien-GP 1976

Kolumne von Günther Wiesinger
Vor fast 40 Jahren reiste Phil Read nach der zweitbesten Trainingszeit beim Belgien-GP ab – ohne Angabe von Gründen. Er bestritt nie mehr einen Grand Prix. Erst jetzt verrät er die Ursache des geheimnisvollen Rückzugs.

Laut Wayne Gardner, 500-ccm-Weltmeister 1987 auf Rothmans-Honda, lässt sich das Fahren mit dem neuen Suter MMX 500-Production Racer höchstens mit der Fortbewegung eines Fahrrads mit Düsenantrieb vergleichen.

Trotzdem will sogar der 77-jährige Phil Read 2016 bei der Sachsen Classic im Rahmen des «World GP Bike Legends»-Events mit so einer 195 PS starken und 125 kg leichten 580-ccm-V4-Zweitakt-Rennmaschine die Fans begeistern.

«Wir waren damals sehr aggressiv mit diesen 500-ccm-Zweitakt-Bikes», sagt Gardner. «Ich schätze, allein Christian Sarron hat sich 250 Knochenbrüche damit zugezogen. Nein, im Ernst, es ist wirklich so, wenn du einmal so eine 500er gesteuert hast, wirst du das nie mehr im Leben vergessen. Das sind einzigartige Fahrzeuge. Ein ähnliches Gefühl hatte ich nur, als ich einmal in einem Kampfjet mitgeflogen bin.»

Gardner weiss, dass Phil Read bei den «Class Events» genau wie Freddie Spencer viele Fans anzieht.

Phil Read hat trotz seines Alters nicht viel von seinem Ehrgeiz verloren. Sein inneres Feuer brennt immer noch, er hat auch das Kriegsbeil mit seinem Erzrivalen Giacomo Agostini nie wirklich begraben. Er teilt immer noch gerne verbale Nackenschläge gegen den Italiener aus, der 15 GP-Titel gewonnen hat, acht mehr als der populäre Engländer.

Read lästert zum Beispiel, der etwas jüngere Agostini könne heute nur noch zwei schnelle Runden fahren, das habe sich auch 2015 beim «World GP Bike Legends»-Event in Jerez gezeigt. Dann habe er einen technischen Defekt vorgetäuscht.

Read: «Ich hätte mich mehr bemühen sollen»

Wenn man sich schon einmal ungestört unter vier Augen in aller Ruhe mit dem legendären Phil Read unterhalten kann, dann sollte auch endlich einmal geklärt werden, welches geheimnisvolle Vorkommnis ihn 1976 beim Belgien-GP in Spa-Francorchamps zur überhasteten Abreise bewogen und gleichzeitig zur Beendigung seiner GP-Karriere geführt hat.

Phil Read kämpfte damals als Suzuki-Privatfahrer in seinem eigenen Life-Helmets-Team um die Weltmeisterschaft. Er unterlag zum Beispiel dem späteren Weltmeister Barry Sheene beim Mugello-GP nach 29 Runden und 152,105 km nur um eine Zehntelsekunde. Beim Österreich-GP landete er hinter Suzuki-Werksfahrer Barry Sheene und Marco Lucchinelli auf Platz 3.

In Belgien sicherte sich Read 1976 die zweite Startposition.
Doch am Abend nach dem Zeittraining stieg Read wortlos in seinen Rolls Royce Silver Shadow und kutschierte mit seiner Frau Madeleine heim nach England.

Er trat nachher nie mehr bei einem Grand Prix an und wurde danach jahrelang nie mehr bei einem Grand Prix gesehen. Die Gründe für seinen überstürzten Rückzug blieben bisher immer im Dunklen. Seinerzeit wurde gemunkelt, Phil habe nach einem ernsthaften Streit mit seiner Frau wütend den GP-Krempel hingeschmissen – für immer.

Kürzlich lüftete Phil Read im Exklusiv-Gespräch mit SPEEDWEEK.com nach fast 40 Jahren das Geheimnis, das seinen seltsamen Auftritt beim Belgien-GP 1976 umrankte.
«Ja, es gab kleine Meinungsverschiedenheiten mit meiner Frau. Und unsere Kinder waren krank daheim in England. Aber das war nicht der wirkliche Grund für die Abreise», schilderte Phil. «Ich besass und betrieb damals mein privates Suzuki-500-Team, der italienische Helmhersteller Life war mein Hauptsponsor. Die Firma ging mitten in der Saison Pleite; das Geld versiegte. Ich konnte meine fünf Mechaniker nicht mehr bezahlen. Ich wollte aber niemandem Geld schuldig bleiben. Deshalb habe ich das Team aufgelöst und bin quasi über Nacht aus der 500er-WM ausgestiegen. Heute muss ich sagen: Ich hätte mich damals mehr anstrengen sollen. Wenn ich mich mehr bemüht hätte, wäre das nötige Geld sicher aufzutreiben gewesen. Ich habe ja um einen Top-3-Platz in der WM gekämpft.»

Übrigens: Reads Frau Madeleine kam wenig durch einen mysteriösen Selbstmord ums Leben.

Von Stars wie Mike Hailwood überstrahlt

Haudegen Phil Read, am 1. Januar 1939 in Luton geboren, heisst eigentlich Phillip William Read. Er hat als erster Fahrer Weltmeistertitel in den Klassen 125 ccm, 250 ccm und 500 ccm gewonnen, er hat fünf WM-Titel auf Yamaha erobert und zwei auf MV Agusta.

Aber er stand immer ein wenig im Schatten noch grösserer Helden. Zuerst von Mike Hailwood, dann von Agostini, später überstrahlte ihn der aufstrebende Landsmann Barry Sheene.

Doch Reads Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen: Bei seinen 138 GP-Starts gelangen ihm 52 Siege, 121 Podiumsplätze, fünf Pole-Positions sowie 36 schnellste Rennrunden.

Dazu nahm er zwischen 1961 und 1977 an 17 Tourist-Trophy-Rennen teil. Der «Prince of Speed» errang auf der Insel Man acht Siege und feierte zum Abschluss seiner Karriere 1977 einen Weltmeistertitel in der TT-Formel-1-Klasse auf Honda.

Phil Read war auf der Rennstrecke ein knallharter Geselle. Und er wurde mehrmals in heikle Kontroversen verwickelt.

Im Yamaha-Werksteam sollte Read 1968 die 125er-WM gewinnen, sein Teamkollege Bill Ivy die 250er WM. Nachdem er den 125-ccm-Titel frühzeitig sichergestellt hatte, pfiff Read auf die Stallorder und verwickelte den später tödlich verunglückten Ivy in einen unbarmherzigen Fight um die 250er-WM. Am Saisonende waren sie punktegleich, aber Read wurde zum Weltmeister gekürt, weil er die kürzeren Rennzeiten aufwies.

Diese Missachtung der Teamorder kam dem Briten teuer zu stehen. Yamaha bot ihm nie mehr einen Werksvertrag an. Aber die Japaner stiegen Ende 1968 sowieso vorübergehend aus der WM aus, weil ihnen die neuen Technikvorschriften zu rigoros waren. Ihnen missfielen die Beschränkungen bei der Anzahl der Zylinder (zum Beispiel 250er mit maximal zwei Zylindern statt sechs) und Getrieben auf maximal sechs Gänge.

Trotzdem gewann Read 1971 auf einer von Helmut Fath getunten privaten Yamaha noch einmal die 250-ccm-Weltmeisterschaft. Unter Mitwirkung des Niederländers Ferry Brouwer war dieses Bike mit einem Sechsgang-Getriebe, mit Doppelscheibenbremsen, mehr Motorleistung und verbesserter Aerodynamik ausgestattet worden.

Phil Read: Zwei 500-ccm-WM-Titel auf MV Agusta

1973 fand Read (Künstlername: «Prince of Speed») mit 33 Jahren noch Aufnahme ins glorreiche MV-Agusta-Werksteam für die 350-ccm-Klasse. «Ich wurde damals gebeten, Agostini 1973 beim Gewinn der 350er-WM zu helfen», hält Read heute fest. «Ich bin also den Yamaha-Piloten im Weg rumgestanden und habe Ago dadurch den Titelgewinn ermöglicht. Ago interessierte sich übrigens wenig für die Technik. Ich war es, der die Magnesiumräder zu MV Agusta gebracht hat, dazu die Scheibenbremsen. Unglaublich, oder? Mit Hilfe dieser Massnahmen ist es uns gelungen, die Viertakt-MV Agusta gegen die Yamaha-Zweitakter für zwei weitere Jahre auf dem Podest zu halten.»

«Agostini ist ein grossartiger Fahrer», räumt Read grinsend ein. «Aber ich denke, ich habe ihn einige Male besiegt.»

Lange hielt es Agostini bei MV Agusta nicht an der Seite von Read aus. Der Italiener (122 GP-Siege, 15 WM-Titel) wechselte für 1974 zu Yamaha und wurde zu einem erbitterten Gegner von Read, der weiter bei MV Agusta blieb, die 500er-WM dort 1973 und 1974 gewann und sie 1975 als Zweiter hinter «Ago nazionale» (Yamaha) beendete.

Damals bot Phil Read dem deutschen Privatfahrer Dieter Braun beim Finnland-GP 20.000 Pfund für den Fall, dass es ihm gelingen würde, Ago in Imatra von seiner Yamaha zu rempeln. Braun liess sich auf dieses Foul natürlich nicht ein.

Erst mit 43 Jahren hat Phil Read übrigens auf der Insel Man seine aktive Rennfahrerkarriere beendet.

Mit 77 Jahren hält sich Read immer noch für rüstig genug für weitere schnelle Rennrunden. Die Startgelder von 6000 Euro bei den Classic-Events sind ihm willkommen; denn er verfügt über keine grossen Ersparnisse mehr, er hat in den besten Tagen zuviel Geld ausgegeben und nach der GP-Karriere wirtschaftlich wenig Erfolg gehabt. Weder mit der Helmfirma Premier noch als Motorradhändler und mit anderen Geschäften.

Deshalb freut sich Phil auf weitere Einsätze in der «World GP Bike Legends»-Series. «Ich kann es gar nicht glauben, dass wir Legenden diese 500-ccm-Suter-Bikes zur Verfügung gestellt bekommen», freut sich der unverwüstliche Phil. «Ich bin dankbar, dass wir damit auf den besten Circuits in Europa um die Wette fahren dürfen. Die Suter MMX 500 ist ein unglaubliches Motorrad. Die Mannschaft von Eskil Suter hat aussergewöhnliche Arbeit geleistet. Ich kann die ersten Runden mit der Suter nicht erwarten. Ich bestreite seit mehr als 50 Jahren Rennen. Ich kann von Glück reden, dass ich heute noch heil und in einem Stück auf einer Bühne stehen kann. Ich humple nicht und mein Verstand hat noch nicht gelitten. Ich werde immer noch eingeladen, um mit den schönsten Rennmaschinen um die Pisten zu flitzen. Das ist eine einmalige Gelegenheit. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mir endlich Ellbogenschützer zu besorgen...»

«Ich bin nicht 77 Jahre alt, sondern 77 Jahre jung», betont Phil  schmunzelnd. «Das Motto heisst immer: Use it or lose it.»

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