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Dirk Debus: Was hält er von der Marelli-Elektronik?

Von Günther Wiesinger
Dirk Debus gilt als Elektronik-Genie, er arbeitete 2015 bei Forward-Yamaha mit Stefan Bradl. Mit der neuen Einheits-Elektronik von Marelli hat er bisher keine guten Erfahrungen gemacht.

Der deutsche Elektronik-Spezialist Dirk Debus hat schon im Yamaha-500-Werksteam mit Max Biaggi und im Suzuki-Werksteam mit Kenny Roberts Junior als Data-Recording-Experte gearbeitet.

Er ist Teilhaber der 2D Debus & Diebold Meßsysteme GmbH in Karlsruhe und arbeitete von 2012 bis Sommer 2015 bei Forward Racing.

Als Teambesitzer Giovanni Cuzari im Juli für 30 Tage in Untersuchungshaft gesteckt wurde und Stefan Bradl vor dem Indy-GP von Forward-Yamaha ins Aprilia-Werksteam wechselte, beendete Debus seine Tätigkeit für das ins schiefe Licht geratene MotoGP-Team aus Lugano/Schweiz.

Debus stand der umstrittenen Einheits-Elektronik von Magneti Marelli vom ersten Tag an kritisch gegenüber. Denn er zählte zu jenen Leidtragenden, die bei den Claiming-Rule- und später Open-Class-Teams mit den Kinderkrankheiten dieser elektronischen Motorsteuerung konfrontiert waren.

Für Dirk Debus dürfte die Kritik der Stars an der neuen Einheits-Elektronik keine Überraschung darstellen. Stefan Bradls Forward-Crew-Chief Sergio Verbena hat schon im April erwähnt, diese Software hinke der aktuellen Factory-Software von Honda und Yamaha ein paar Generationen hinterher. Deckt sich das mit den Erfahrungen von Dirk Debus?

Rossi wetterte beim Valencia-Test, er fühle sich ins Jahr 2008 zurückversetzt. Pedrosa pflichtete ihm bei.

Suzuki hatte mit der hauseigenen Elektronik 2015 noch Probleme. Man erhoffte sich von Marelli eine Verbesserung, doch Teamchef Davide Brivio übte im November unverhohlen Kritik an seinen Landsleuten.

Bei Suzuki setzt sich zum Beispiel die Meinung durch, dass ihre nicht fehlerlose ECU 2015 besser war als das aktuelle Magneti-Marelli-System.

Dirk, die Situation mit der Einheits-ECU ist für niemanden zufriedenstellend. Du hast diese Misere seit Jahren kommen gesehen. Die Kritik von Rossi und Co. wundert dich also nicht?

Von dem, was Valentino beim Fahrern auf dem Motorrad fühlt, ist der Umstieg beim Valencia-Test im November für ihn definitiv so gewesen. Er fühlte sich sieben oder acht Jahre zurückversetzt.
Was der Fahrer fühlt und der Aufwand, der hinten dran steckt, sind aber zwei verschiedene paar Schuhe.
Die Situation ist nicht zufriedenstellend, um es vornehm auszudrücken.

Die Open-Teams beklagen sich seit drei Jahren, es hat sich nichts verbessert. Aber den Open-Fahrern wie Miller, Barbera und Bradl hat niemand zugehört. Und ich frage mich: Wie soll sich jetzt in zwei Monaten etwas verbessern, wenn vorher in drei Jahren keine brauchbare Software zustande gebracht wurde? Kann Marelli bis zum Saisonstart Fortschritte machen?

Ja, sie werden bis zum Saisonstart Fortschritte machen, weil sie die Einstellungen an die neue Software noch anpassen können. Die Motorsteuerung wird sich dann besser fahren.
Aber es ist eben ein Aufwand, der eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Man versucht jetzt, etwas hinzukriegen, was man bei der Factory-Software von Honda und Yamaha zum Beispiel schon hatte.
Hätte man weitergemacht und hätte alles laufen lassen, wäre man 2016 weiter gewesen, was die Sicherheit und vieles andere angeht. Ich erwarte für 2016 einige Stürze, einige Ausfälle und einige überraschende Vorkommnisse in den Trainings, wo auf einmal irgendetwas nicht geht.

Das Repsol-Team testete im November einen neuen Werksmotor von HRC. Marc Márquez und Dani Pedrosa konnten ihn aber nicht richtig beurteilen, weil die neue ECU viel zu instabil war. Die Fahrer wussten nicht, ob der Motor einen Rückschritt darstellt oder ob es an der Marelli-ECU liegt.

Genau. Genau. Du kannst dir nicht vorstellen, wie rückschrittlich dieses System ist, das da installiert wurde.

Dann wird Yamaha 2016 wieder überlegen sein? Denn sie bringen keinen neuen Motor, haben ein ausgereiftes Paket und können sich auf die neue Elektronik und die neuen Reifen konzentrieren?

Ja, ja. Das kann sein.

Täuscht der Eindruck, dass Ducati, Aprilia, Suzuki und auch KTM hoffen, durch die neue Einheits-Elektronik den Rückstand zu Honda und Yamaha verringern zu können? Ist diese Hoffnung berechtigt?

Hm. Diesen erwähnten Werken wird etwas Arbeit abgenommen. Ducati kommt den Japanern theoretisch ein bisschen näher.
Aber ich erwarte, dass sich dieser Vorteil durch die Reduktion von zwölf auf sieben Motoren pro Fahrer und Saison ausgleichen wird. Ducati muss ja die Anzahl der Motoren reduzieren, also werden sie Motorleistung zurücknehmen müssen. Dadurch könnten sie technisch wieder dort stehen bleiben, wo sie 2015 waren.

Ducati-Renndirektor Gigi Dall'Igna behauptet aber, man wäre schon 2015 mit sieben Motoren durchgekommen, wenn man nicht das Reglement genützt und etliche Upgrades gebracht hätte.

Das habe ich meine Zweifel. Wir werden sehen.

Honda und Yamaha mussten im Vorjahr mit 20 Liter durchkommen, Suzuki und Aprilia mit 24, Ducati ab dem zweiten Rennen mit 22 Liter. In der Saison 2016 wird der Tankinhalt gleich sein für alle – 22 Liter. LCR-Teamchef Lucio Cecchinello meinte übrigens, Honda werde die Motorleistung für 2016 eher verringern. Aber theoretisch könnten Honda und Yamaha die Leistung für 2016 erhöhen?

Honda vielleicht, bei Yamaha glaube ich nicht. Denn die 2 Liter mehr Sprit sind für die Power weniger ausschlaggebend als die zwei zusätzlichen Motoren, die Honda und Yamaha jetzt nützen können – sieben statt fünf wie 2015.

Ganz kostenlos ist da die Einheits-Elektronik auch nicht?

Die Teams bekommen eine Motorsteuerung pro Fahrzeug gratis. Wenn die Teams oder Werke irgendwo testen wollen, müssen sie zusätzliche Units kaufen.

Was müssen die Teams pro Jahr an Marelli bezahlen?

Wie die anderen Werke die Kosten an die Teams verrechnen, weiss ich nicht. Vielleicht verkauft Marelli ein Paket an Honda, Honda gibt dann die Kosten an die Teams weiter. Bei Forward haben wir pro Saison bis zu 20.000 Euro an Marelli bezahlt.

Im April 2015 hat sich herausgestellt, dass die ECU von Marelli rückständig ist. Honda und Yamaha haben dann gemeinsam mit Ducati die Marelli-Software für 2016 geschrieben. Geht dieser Input in die richtige Richtung?

Ja, diese drei Werke haben eine Software geschrieben und eine Spezifikation gemacht, Marelli hat sie implementiert.
Das geht natürlich in die richtige Richtung. Das war ja eine Software, mit der die Werke bis zum Valencia-GP gefahren sind.
Der einzige Profiteur ist aber Marelli.

Denn nur die Italiener haben den Sourcecode oder Quellcode und sind die einzigen, die das Programm ändern können. Was für mich unverständlich ist: Marelli lässt sich von den namhaftesten Werken das Programm schreiben und wird dafür von der Dorna noch fürstlich bezahlt. Und wenn die Werke Verbesserungen wollen, müssen sie dafür bei Marelli auch noch extra Geld abliefern?

Genau.

Was ändert sich 2016 konkret für die MotoGP-Fahrer? Bisher wurde zum Beispiel bemängelt, bei der Traction Control sei das «corner by corner»-Set-up zu langsam und zu kompliziert.

Diese «corner by corner»-Abstimmung wird ein Problem sein, vor allem, wenn da Fehler entstehen, wenn irgendetwas falsch «gesettet» wird oder sich irgendetwas nicht so zuverlässig aufsetzt oder zurücksetzt wie bei den bisherigen Software-Versionen der Werke.
Da kann es zum Beispiel in Valencia durchaus mal passieren, dass ein Fahrer nach der Gegengeraden geradeaus fährt und dann wieder auf die Piste kommt. Wenn er nach dieser «Abkürzung» einfach weiterfährt und nachher eine fliegende Runde macht, könnte es zu ernsthaften Problemen führen. Denn du kannst diese ganzen Sachen nicht vorher richtig testen. Und du weisst vorher nie, wie die Marelli reagiert.
Ob diese Probleme für 2016 beseitigt werden, weiss man nicht. Aber bei Forward gab es in dieser Hinsicht mit Stefan 2015 schon mal Probleme, zum Beispiel im Rennen von Jerez. Dort war das «corner by corner»-Set-up in jeder Runde um eine Kurve versetzt, weil die Recovery-Strategie am Startplatz nicht funktioniert hat, als der Motor nach der Besichtigungsrunde abgestellt wurde.

Es geht um Systeme wie Traction-Control, Wheelie-Control, Launch-Control und Motorbremse. Kann Marelli nach drei Jahren Stillstand den Rückstand bis zum Saisonstart am 20. März teilweise wettmachen?

Die Japaner von Honda und Yamaha haben viel gemacht und viel vorgegeben. Sie werden das jetzt alles testen. Deshalb werden wir schon einen Sprung nach vorne erleben.

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