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MotoGP-Auftakt 2016: Hat Márquez aus Fehlern gelernt?

Von Günther Wiesinger
Saisonstart in Katar: Die Spitze ist breiter geworden

Saisonstart in Katar: Die Spitze ist breiter geworden

Der angekündigte Umsturz in der MotoGP-WM hat nicht stattgefunden. Aber zu den Top-4 mit Lorenzo, Rossi, Márquez und Pedrosa gesellen sich neue Podestkandidaten – Iannone, Dovizioso und Vinales.

Jetzt haben wir in Katar den ersten MotoGP-WM-Lauf 2016 erlebt – und gar nichts wurde auf den Kopf gestellt.

Und genau das wurde befürchtet, weil sich in diesem Jahr die technischen Voraussetzungen stark verändert haben.

Die Einheitsreifen kommen nach sieben Bridgestone-Jahren jetzt von Michelin. Dazu haben jetzt alle Teams und Hersteller eine Einheits-Elektronik, die aber inzwischen in den meisten Fällen besser funktioniert als befürchtet.

Und Ducati ist zu alter Stärke erwacht. Es wäre ein Wunder, wenn Iannone oder Dovizioso 2016 nicht endlich den ersten Sieg der Roten seit Stoner 2010 in Australien einfahren würden. Vielleicht klappt es schon in Texas beim übernächsten Rennen.

Ducati darf zwar 2016 nach dem Verlust der Open-Class-Vorteile nur sieben statt zwölf Motoren (so viele hatten sie im Jahr 2015) einsetzen, trotzdem hat Konstrukteur Gigi Dall'Igna den infernalischen Desmosedici-Motor nicht kastrieren müssen.

Die Werks-Ducati fuhren den Yamaha in den Trainings auf der Zielgeraden um 10 bis 15 km/h davon, aber im kurvenreichen Abschnitt haben die roten Raketen immer noch Mühe. «Nicht genug Grip in maximaler Schräglage», bedauert Dovizioso.

Naja, man kann anscheinend nicht alles haben im MotoGP-Leben.

Yamaha hat weniger Power, deshalb eine sanftere Leistungsentfaltung und weniger Reifenverschleiss. Und mit Jorge Lorenzo den überragenden Fahrer der Gegenwart, er konnte sogar mit dem weichen Hinterreifen bis zum Schluss Topzeiten auf den Asphalt zaubern.

Honda ist im Hintertreffen, die RC213V ist momentan kein Sieger-Motorrad. Es fehlt an Top-Speed, der Michelin-Vorderreifen ist zu weich für dieses Bike, bei der Elektronik hat Yamaha die Umstellung auf Magneti Marelli besser bewältigt. Ducati sowieso, denn die Italiener verwenden diese Motorsteuerung seit dem Einstieg in die MotoGP-WM 2003.

Ducati profitiert auch von den Michelin-Reifen, denn Michele Pirro hat damit mehr getestet als jeder andere Testfahrer. Und die Michelin-Reifen vertuschen die offensichtlichen Chassis-Mängel der Desmosedici besser als die Bridgestone.

Übrigens: Die wegen Michelin befürchteten zahlreichen Stürze übers Vorderrad gehören der Vergangenheit an. Der Katar-GP sorgte ungefähr für dieselbe Anzahl von Rennstürzen wie 2015 – diesmal stiegen Iannone, Baz, Crutchlow und Bradl ab.

Beachtlich: Die Rennzeit über die 22 Runden war mit 42:28,452 min um 7,265 sec schneller als im Vorjahr. Hut ab vor Michelin.

Yamaha wieder überlegen?

Yamaha scheint die Überlegenheit von 2015 in die neue Saison gerettet zu haben, Ducati ist stärker, Honda schwächer. Suzuki brachte Maverick Vinales auf Platz 6, auf dieser Position ist er auch 2015 schon rumgedriftet. Aber auf den kurvenreicheren Strecken wird Suzuki mit dem grossartigen Vinales ein Podestkandidat sein.

Unter den ersten sechs im Rennen waren mit Lorenzo, Dovizioso, Márquez, Rossi und Pedrosa fünf Fahrer, die auch 2015 unter den Top-6 waren, damals wurde Iannone Dritter, er stürzte diesmal, dafür stiess Vinales auf Platz 6 vor.

Das bringt uns zur Frage, wer 2016 Weltmeister werden kann.

Hm, Lorenzo hat alle Trümpfe in der Hand. Rossi muss und wird sich steigern. Bei Ducati wäre Dovizioso erfahren und abgebrüht genug, Iannone ist manchmal noch zu hitzköpfig.

Pedrosa wird auch im elften Repsol-Honda-Jahr nur sporadisch glänzen, und Marc Márquez ist die grosse Unbekannte.

Er lag nach dem ersten Abend nur auf Platz 10, obwohl Honda wie alle andern Teams in Katar drei Tage getestet hatte.

Das verheisst für Strecken wie Las Termas und Austin vielleicht nichts Gutes, weil Honda mit der Abstimmung der neuen Motorsteuerung mehr Probleme hat als Yamaha und Ducati.

Honda hat einige Baustellen zu beseitigen. Aber wenn Honda das nicht schafft, wer soll es dann schaffen?

Die Frage ist nur, ob Marc Márquez diesmal cool genug bleibt und sich mit zweiten, dritten und vierten Plätzen abgibt, wenn es für einen Sieg nicht reicht.

Da habe ich ernsthafte Bedenken, nicht als Einziger.

Márquez und seine Brachial-Strategie

Als Marc Márquez in der Saison 2014 die ersten zehn WM-Rennen gewann und haushoch und ungefährdet Weltmeister wurde, ging so mancher Fan und Experte von einer lang anhaltenden MotoGP-Dominanz von Márquez und Honda aus.

Wer sollte diesen Überflieger in den nächsten zehn Jahren stoppen?

Aber schon ein Jahr später wurde der spanische Repsol-Honda-Werkspilot entzaubert.

Jorge Lorenzo und Valentino Rossi gewannen für Movistar-Yamaha alle drei WM-Titel (Fahrer-WM, Marken-WM, Team-WM).

Und Marc Márquez erlitt mit seiner lächerlichen Brachial-Strategie (Sieg oder Sturz) gehörig Schiffbruch.

Schon 2014 war er im letzten Saisondrittel in Misano, Aragón und Phillip Island gestürzt, er liess damals gewisse Schwächen spüren, als die Konkurrenz wieder stärker wurde und ihm auf den Leib rückte.

Im Vorjahr zeichnete sich ab, dass Marc Márquez nicht in der Lage ist, ein Rennmotorrad weiterzuentwickeln. Als Dani Pedrosa nach dem Katar-GP drei Rennen lang fehlte, ging bei HRC alles schief, der Routinier erkannte sein Motorrad nach der Rückkehr in Le Mans nicht mehr.

Dabei hatte er sowieso im Februar 2015 ein anderes Chassis ausgewählt als Márquez.

Márquez selbst gab im Sommer zu, er habe sich beim ersten Sepang-Test 2015 überhastet für eine gewisse Chassis-Version entschieden, die dann bei kühleren Temperaturen überhaupt nicht konkurrenzfähig war.

Also kletterte Márquez in Assen wieder auf die 2014-Maschine, eine Blamage sondergleichen für ein Werk wie Honda.

2013 und 2014 hatte sich bei Honda eine gewisse Überheblichkeit breit gemacht, Márquez schien MotoGP-Erfolge bis zur Ewigkeit zu gewährleisten. So vernachlässigte Honda die Open-Class und damit das Know-how für die Einheits-ECU, denn das Repsol-Factory-Team errang ja einen Sieg nach dem andern.

Das rächt sich jetzt, denn die HRC-Elektroniker haben bei der neuen, einheitlichen Magneti-Marelli-Motorsteuerung viel Aufholbedarf. Dass gleichzeitig ein neuer Motor gebaut wurde (mit gegenläufiger Kurbelwelle), verschlimmert die Situation. Die Honda-Fahrer wollten weniger PS als 2015, dafür einen fahrbaren Motor, aber die HRC-Ingenieure sind zu weit gegangen.

Pech: Die Motorenentwicklung ist eingefroren; mit diesem Triebwerk müssen Márquez, Pedrosa, Crutchlow, Miller und Rabat jetzt ein Jahr lang leben.

Und LCR-Honda-Fahrer Cal Crutchlow bemängelt eine weitere extreme Schwachstelle: Das Honda-Chassis ist ähnlich wie das letztjährige, und schon 2015 war es für die harten Vorderreifenkonstruktionen von Bridgestone nicht brauchbar. Bei Michelin kommt dieser Mangel noch eklatanter zum Vorschein, die Vorderreifen überhitzen beim Bremsen.

Dass Marc Márquez fahrerisch ein Kaliber ist, wie wir es seit Jahrzehnten nicht gesehen haben, darüber brauchen wir keine Diskussion führen.

Aber für dauerhaften Erfolg in der Königsklasse ist mehr nötig als unbeschreiblicher Speed, Furchtlosigkeit, meisterhafte Zweikampfstärke, Killerinstinkt und unbändiger Siegeswille.

Dass sich Honda in diesem Jahr technische Nachteile aufgehalst hat, lässt sich nicht verleugnen. Yamaha, Ducati und sogar Suzuki (zumindest mit Maverick Vinales) stehen besser da.

Jetzt bin ich neugierig, wie Marc Márquez mit dieser Situation fertig wird.

Klar, der Losail Circuit war noch nie eine Honda-Strecke.
Aber Las Termas in Argentinien eigentlich auch nicht. Und bis zum dritten Grand Prix in Austin/Texas, wo er üblicherweise Kreise um seine Gegner fährt, wird die Nummer 93 nicht warten wollen bis zum ersten durchschlagenden Erfolg in der Saison 2016.

Denn die Geduld ist nicht die Stärke des insgesamt vierfachen Weltmeisters. Er wird nicht akzeptieren, dass die Konkurrenz im Moment besser aufgestellt ist und er in erster Linie an der Verbesserung des Materials arbeiten muss.

Diese mangelnde Gelassenheit hat Márquez schon in der 125er-WM beim Fight gegen Pol Espargaró (Estoril 2010) so manches Problem eingebrockt und 2011 auch in der Moto2-WM, wo er in der entscheidenden Phase im Titelkampf gegen Stefan Bradl innerhalb von acht Tagen dreimal schwer stürzte.

Auch der Selbsterhaltungstrieb von Márquez ist nur mangelhaft ausgeprägt.

Und natürlich ist er nach all diesen Erfolgen von lauter Ja-Sagern umzingelt, er wird bewundert und angehimmelt, eine schwierige Situation für den 23-jährigen Superstar, der mit der Nummer 93 fährt, weil das sein Geburtsjahr ist.

Kein Wunder, wenn Márquez manchmal fast unter Wahnvorstellungen leidet.

So bildete sich Marc Márquez letztes Jahr ein, Rossi sei an seinem Titelverlust schuld, weil er ihn in Las Termas zu Fall gebracht habe und den spanischen Kontrahenten in Assen in der letzten Schikane ins Verderben laufen liess.

Dass dort Marc Márquez jeweils selber Schuld an der Niederlage hatte, begreift freilich ein Blinder mit Stock.

Marc Márquez hat durch seine Fahrweise in Sepang 2015 und Valencia 2015 viele Sympathien eingebüsst.

Repsol-Honda-Teamprinzipal Livio Suppo ist überzeugt, Marc habe aus der missglückten Saison 2015 seine Lehren gezogen.

Ich weiss nicht, ob ich diese Überzeugung teile. Eher nicht.

Marc Márquez hält sich zwar für den einzigen wahren Eigentümer des MotoGP-WM-Titels. Aber bei allen wundersamen Darbietungen, die er in den letzten fünf, sechs Jahren auf der Rennstrecke vollführt hat: Ich glaube, dass Márquez und Honda in diesem Jahr keine ernsthaften Titelchancen vorfinden werden.

Weil sich der angriffslustige Katalane mehr Fehler leisten wird als zum Beispiel Lorenzo und Rossi.

Aber irren ist menschlich.

Vielleicht kommt alles ganz anders. Hauptsache, es gewinnt nicht wieder ein Fahrer die ersten zehn Rennen hintereinander.

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