MotoGP-Finale: Verschiebung, Verlegung, Absage?

Walter Röhrl exklusiv: Das große Monte-Interview

Von Werner Jessner
Vor exakt 40 Jahren holte die deutsche Rallye-Legende seinen vierten und letzten Monte-Sieg. Nach Fiat, Opel und Lancia gewann er 1984 auf Audi quattro – 6 Wochen nach seinem Erstkontakt mit Allrad.

Die Rallye Monte Carlo war in den 1970er und 1980er Jahren popularitätsmäßig auf dem Niveau des Formel-1-Laufs im Fürstentum. Im Zug einer Sternfahrt mit unterschiedlichen Orten wurden die Langstrecken-Talente der Fahrer erprobt, bevor es dann in den französischen Bergen zur Sache ging.

 

Für Walter Röhrl hatte ein Sieg bei der Monte stets einen höheren Stellenwert als ein WM-Titel. Wer auf Schnee, Eis, nassem Asphalt, trockenem Asphalt, bei Sonne und Schneefall, bei Tag und in der Nacht der Schnellste war, der war der beste Autofahrer der Welt, so seine Überzeugung.

 

Mit Opel und Lancia hatte er die technische Überlegenheit der allradgetriebenen Audis anerkennen müssen und mit all seinem Talent dagegengehalten. Dass dieser Kampf mittelfristig nicht zu gewinnen war, war dem analytischen Röhrl da schon längst klar. Also wechselte er ins Audi-Lager. Einziges Problem: Er musste seinen Fahrstil komplett ändern, denn ohne Linksbremsen war der untersteuernde quattro nicht ums Eck zu kriegen. Zwischen Weihnachten und Monte-Start musste er diese Fähigkeit erlernen. Es waren stürmische Tage und Nächte im Bayrischen Wald damals, bis der «Lange» und der quattro Freundschaft schlossen.

 

Wie war das damals, Walter? Welchen Stellenwert hatte die Monte in der Öffentlichkeit wirklich, und hast du wirklich damit gedroht, das Auto eine Klippe runterzustoßen? In seiner unnachahmlichen Art schafft es Walter, uns in die 1980er zurückzubeamen in eine Welt, in der der Rallyesport wild und abenteuerlich war, voller Tricks und mit einer Leidensfähigkeit der Protagonisten, wie man sie sich heute kaum noch vorstellen kann.

 

Was hast du heute vor 40 Jahren gemacht?

Wahrscheinlich war ich irgendwo auf einer Straße auf dem Weg in den Süden. Die Monte dauerte 6 Tage vom Zeremonie-Start bis zum Ziel in Monaco.

 

Ihr seid damals wirklich mit dem Rennauto quer durch Europa gefahren?

Ja, klar. 1984 war Start in Bad Homburg. Wir sind schon 24 Stunden lang im Auto gesessen, bis alle Starter von den unterschiedlichen Startpunkten in Aix-les-Bains zum eigentlichen Beginn zusammenkamen. Von dort hatten wir 6 Sonderprüfungen bis Monte Carlo. Am nächsten Tag ging es auf die große Runde, da warst du 40 Stunden unterwegs. Dann war ein Tag Pause, bevor es in die Nacht ging. Start war um 6 Uhr abends, 14 Stunden oder weitere 800 Kilometer später warst du im Ziel.

 

Ein heute unvorstellbarer Ablauf.

Es waren lauter unterschiedliche Sonderprüfungen, nicht so wie heute, wo alle Prüfungen mehrfach gefahren werden. Wir waren den ganzen Dezember und Januar unterwegs, um alle Sonderprüfungen wenigstens zwei Mal zu befahren und den Aufschrieb zu erstellen.

 

War das lustig, vor dem Start zur eigentlichen Rallye mit dem Rennauto im normalen Straßenverkehr quer durch Europa zu kacheln?

Schrecklich! Alle vier, fünf Stunden gab es eine Zeitkontrolle. Da hockst du dann in deinem Schalensitz drin, kannst ihn nicht umlegen und wartest. Allein was ich bei der Anfahrt in all den Jahren erlebt habe! München, Innsbruck, Gardasee und immer so weiter. Dann Nebel, dass du keine 20 Meter weit gesehen hast. So hätten wir einmal die Zeitkontrolle in Brescia beinahe nicht gefunden.

 

Wie haben die anderen Verkehrsteilnehmer auf euch reagiert?

Das war ja der Trick dieser Veranstaltung mit ihren unterschiedlichen Startorten von London über Warschau bis Athen oder Lissabon: Ganz Europa war im Monte-Fieber. Es muss 1971 gewesen sein, da ist Björn Waldegård im Porsche 914 gefahren. Es gab eine Durchfahrtskontrolle in Regensburg am Weg von seinem Startort in Warschau nach Monaco. Damals sind wir ihm 30 Kilometer entgegengefahren, haben überholt und fotografiert. Wir waren ganz aus dem Häuschen! Darum hatte ich später so viel Verständnis für die Fans, als ich in seiner Lage war.

 

Zurück ins Jahr 1984. Wie verlief dein Sieg auf dem Audi aus sportlicher Sicht?

Ich hatte mit Allrad bis dahin nichts am Hut. Ich war immer mit Hecktrieblern unterwegs gewesen. Nun hatte ich es mit drei etablierten Teamkollegen zu tun, die schon das vierte Jahr im Auto saßen. Ich hatte sechs Wochen Zeit, um das einigermaßen zu erlernen.

 

Deine Zeiten zu Beginn waren nicht berauschend.

Da haben mir die Audi-Leute ein Ei gelegt, indem sie mich mit falschen Reifen losgeschickt haben. Zum Glück hatte ich einen Freund, der nach den ersten 15 Autos direkt zum nächsten Audi-Service weitergefahren ist, 120 Kilometer später. Auf diesen 120 Kilometern hat mir Stig Blomqvist 1:28 Minuten abgenommen. Ich dachte, ich zerreiße meinen Führerschein, doch der Freund kam strahlend auf mich zu: «Du bist der Größte! Die Leute sind sich in den Armen gelegen, als du vorbeigefahren bist. Eine Klasse schneller als alle anderen.» Da frag ich ihn, wo er gestanden ist. Col de Porte, oben auf der Passhöhe. Fünfter Gang, vorn und hinten auf den Zentimeter genau quer über die Brücke. Dort oben hat der Reifen – ein schmaler Spike – funktioniert. Unten im Schneematsch hingegen weniger. Einen einzigen Mechaniker kannte ich vom Training schon. Ich war ja neu im Team. Ich hab ihn am Krawattl gepackt und gesagt: «Hans, wennst mich anlügst  – ich bring dich um. Was stimmt da nicht?» Stellte sich heraus, dass bei allen drei anderen Autos die korrekten Reifen erst montiert wurden, sobald ich mit Startnummer 1 die Servicezone verlassen hatte.

 

Und dann?

Habe ich unserem Teamchef, dem Herrn Gumpert, mitgeteilt, dass ich das Auto an einen Abgrund rolle und runterstoße, wenn das noch mal passiert. Und zwar in einer Lautstärke und mit Ausdrücken, dass es alle im Umkreis von 100 Metern mitgekriegt haben. Auf der nächsten Prüfung hatte ich die gleichen Reifen wie alle anderen und war um eine Minute vorn. Wenn ich auf die Sache mit den Reifen nicht draufkomme, bring ich mich vielleicht um und den Christian (Geistdörfer, Anm.) gleich dazu, weil ich meine, das gibts nicht, das muss ja viel schneller gehen.

 

Ab diesem Moment hattest du alles im Griff, oder?

Meine Haupt-Motivation zu Audi zu gehen war, gegen Stig auf gleichem Material zu fahren. Alle anderen waren zu irgendeinem Zeitpunkt schon mal meine Teamkollegen gewesen. Von Stig hieß es, er sein der beste Allrad-Fahrer und der schnellste Mensch auf Schnee. Das wollte ich mir genau anschauen. Umso schöner war es dann natürlich.

 

Er wurde dann eh Zweitschnellster, du hast mit über einer Minute Vorsprung gewonnen. Hannu Mikkola – auch auf Audi – war 12 Minuten zurück.

Stig war schon gut, aber auf Asphalt hatte er schreckliche Schwächen. Auf Schnee war ich zwar nicht um Welten schneller, aber sechs, sieben Sekunden habe ich ihm schon gegeben auf jeder Prüfung.

 

Auf den historischen Fotos sieht die 84er-Monte recht schneearm aus. War der Allrad da ein so großer Vorteil?

So trocken wars nicht. Es lag auf jeden Fall um 30 Prozent mehr Schnee als in den Jahren davor, als ich Lancia und Opel Ascona gefahren bin.  Oben am Col de Turini lag Schnee, in der Ardèche, in Burzet. In der Nähe von Gap gab es ganz tolle Prüfungen, 25 Kilometer rein auf Schnee.

 

Das heißt, deine ehemaligen Kollegen von Lancia hatten eine gute Ausrede, warum sie keine Chance gegen euch Audis hatten. Ich meine: eine halbe Stunde Rückstand!

Es reicht ja, wenn du ohne Allrad 25 Kilometer bergauf fahren musst auf rutschigem Untergrund. 1982 bin ich auf Opel gegen Michèle Mouton im Audi gefahren – in Brasilien auf Schotter. Während der ersten Tage, die flach waren, immer vierter, fünfter Gang, lag ich deutlich in Front. Am letzten Tag ging es in ein kleines Gebirge rein, da gab es drei Prüfungen mit jeweils 15 Kehren bergauf. Bumm, lag ich vier Minuten zurück.

 

Wie siehst du die aktuelle Monte?

Die ist einfach ganz, ganz anders. Zu meiner Zeit konntest du noch taktieren. Auf 4.000 oder 5.000 Kilometern wie zu meiner Zeit musstest du nicht auf der allerersten Prüfung alles zerreißen. Wenn du heute die erste Kurve nicht auf der letzten Rille fährst, hast du schon verloren. Aus heutiger Sicht ist es für gute Fahrer viel, viel schwieriger zu gewinnen. Wir hatten mehr Spielraum. Unsere Autos haben nicht so gut funktioniert. Es war einfach, Fehler zu machen. Wenn wir von 10 Kehren 5 optimal erwischt haben, haben wir dem Herrgott gedankt. Heute fährt jeder auf den Zentimeter genau wie vom Zirkel gezogen um die Kehre rum, weil die Autos so gut sind. Oder nimm die Fähigkeit, 30 Stunden am Stück fehlerlos zu bleiben. Die ganze Nacht durchzufahren. Schneller schalten zu können. Lauter Mosaik-Steine, die es heute nicht mehr gibt.

 

Das heißt, du verfolgst die aktuelle Szene?

Klar. Gerade im Fernsehen erkennst du sehr viel. Es gibt offensichtlich nur noch zwei Szenarien: Entweder du bist auf der Bremse oder voll am Gas. Brutal, wie schnell die heute fahren! Live vor Ort kann der normale Bürger gar nicht beurteilen, wie schnell die sind. Die Autos liegen wie auf Schienen, während wir noch quer gefahren sind, und jeder Fan hat kapiert, huuuh, das ist schwierig.

 

Hast du je ein modernes WRC probiert?

Die Chance hätte es gegeben, aber ich habe abgelehnt. Ich will es gar nicht wissen. Wahrscheinlich würde mich das nur auf dumme Gedanken bringen. Ich kenn mich doch! Es ist besser, es gar nicht zu probieren. Ich müsste schon wissen, ob das noch geht. Es würde mir keine Ruhe lassen. Zum Glück bin ich da ein bisschen schlauer geworden und mach es gleich gar nicht.

 

Verstehst du, dass Kalle Rovanperä als amtierender Weltmeister dieses Jahr ein Teilzeit-Programm fährt?

Ja, das verstehe ich. Mir haben Titel nie was gegeben. Ich wollte immer wissen, ob ich der Schnellste bin. Wenn ich in San Remo einmal 16 Minuten gestanden bin, aber 33 von 44 Prüfungen gewonnen habe, war das die Erfüllung für mich, selbst wenn ich in der Endabrechnung nur Zweiter war. Alles was ich wollte: 5, 6 Rallyes pro Jahr fahren und womöglich gewinnen. Aber Titel? Brauchte ich nicht. Im Unterschied zu Kalle Rovanperä hatte ich nie das Gefühl, müde zu sein. Autofahren: das habe ich schon gemocht. Kalle fährt, seit er ein kleiner Bub ist. Kann schon sein, dass er momentan leer ist. Oder ihm bedeuten die Titel auch nicht so viel und er will einfach dort gewinnen, wo er es sich aussucht. Da tickt er anscheinend ein bissl wie ich.

 

Nicht zu vergessen dein Freund und Rekord-Weltmeister Sébastien Ogier, der ebenfalls nur mehr da antritt, wo er Lust hat.

Mir taugt diese Entwicklung. Die Monte will er dieses Jahr wieder unbedingt gewinnen. Die liegt ihm am Herzen, das nimmt er komplett ernst, egal wie oft er schon gewonnen hat. Und anderswo bleibt er daheim.

 

Drückst du ihm bei der Monte 2024 die Daumen?

Ja. Ich erhole mich gerade von einer Lungenentzündung, und er hat mir gestern geschrieben wie es mir geht. Drei Tage vor dem Start zur Monte interessiert er sich für meine Gesundheit! Das musst dir einmal vorstellen. Toller Typ, der Sébastien Ogier. Auch fahrerisch ist er so unterwegs, wie ich mir das vorstelle.

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