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Augusto Farfus: «Dann habe ich nur noch geheult»

Von Andreas Reiners
Augusto Farfus im SPEEDWEEK.com-Interview über Augusto Farfus als Rennfahrer und Privatperson, den harten Weg nach oben und natürlich die DTM.

Augusto Farfus und schlechte Laune? Das passt nicht. Zumindest fast nie. Der Brasilianer spricht im Rahmen der Typen-Themenwochen im Interview mit SPEEDWEEK.com dann auch über die Gründe für seine positive Einstellung zum Leben. Aber auch darüber, was seine Tochter alles für ihn verändert hat. Und was die DTM richtig und falsch macht.

Augusto, was hat sich in deinem Leben verändert seitdem du eine Tochter hast? Als Privatperson und als Rennfahrer?

Als Rennfahrer nicht viel. Du fängst an, anders auf die Welt zu schauen. Du fängst an zu evaluieren, was wirklich etwas wert ist. Ich denke, es ist ein Teil davon erwachsen und ein Mann zu werden. Du setzt Prioritäten: Was ist wirklich notwendig, was ist wirklich wichtig, was macht wirklich einen Unterschied in der Karriere? Alles ändert für dich sein Level. Du schaust auf alles aus einer anderen Perspektive. Aber wenn es um Geschwindigkeit und Engagement geht, da änderst du dich nicht. Du versuchst lediglich, dein Leben umzuorganisieren, mit dem Ziel, etwas Zeit mit deiner Familie zu verbringen.

Warst du früher komplett anders?

Vor fünf Jahren war ich der Kerl, der für drei Monate durch die Welt gereist ist. Jetzt schaue ich, dass ich zwischendurch nach Hause komme und meine Familie sehen kann. Anfangs, in den ersten Monaten, konnte ich meine Tochter zuhause lassen und sie hat mich nicht mal vermisst. Doch dann fing sie an zu verstehen, dass ich gehe und sie fing an zu weinen. Also habe ich angefangen es ihr zu erklären: Papa muss arbeiten. Und habe ein System entwickelt. Immer wenn ich von der Arbeit oder von einer Reise nach Hause komme, muss ich ihr ein Geschenk mitbringen. Manchmal nur Chuppachups oder Lollipops oder Schokolade. Also ein sehr kleines Geschenk, um ihr zu sagen, dass es in Ordnung ist, dass Papa arbeitet. Das hat sehr gut funktioniert. Aber es ist manchmal ganz schön hart, dass sie dich nicht mehr vergessen, wenn du weggehst.

Dein Terminkalender ist Jahr für Jahr ziemlich voll…

Genau. Ich gehe dann und mein Frau erzählt mir dann, dass die Kleine fragt: ‚Wann kommt Papa wieder? Er arbeitet zu viel.‘ Und nach einer Weile fängt sie wirklich an zu weinen, weil sie nicht versteht, warum ich nicht wiederkomme. Als Mann hast du jetzt ein Vermächtnis. Wenn du zurückschaust, wirst du eine Nachricht an die Welt hinterlassen haben. In fünfzig Jahren vielleicht werde ich die Welt verlassen, aber ich habe etwas hinterlassen. Und das ist der Grund, warum ich versuche, es auf die beste Art, die mir möglich ist, zu machen. Ich schaue, was ich meiner Tochter hinterlassen werde. Hoffentlich hinterlasse ich ihr eine gute Lebensmöglichkeit. Und am Ende, wenn ich gehen muss, soll meine Familie sagen: ‚Augusto Farfus war ein netter Mann, ehrlich, er war ein harter Arbeiter und Kämpfer.‘ Das ist alles, was ich will.

Du bist immer sehr positiv. Hast du eigentlich auch mal schlechte Laune?

Nein, denn warum sollte ich mich beschweren? Natürlich hast du auch schlechte Tage. Aber ich fahre in einer brillanten Serie für einen brillanten Hersteller. Ich habe Erfolg, ich bin gesund, ich reise um die ganze Welt und ich habe eine brillante Familie. Nenne mir einen Grund, warum ich mich beschweren sollte? Wenn du Leute triffst und sie fragst, wie es ihnen geht und dann jammern sie…Oh Mann, ihr wisst doch überhaupt nicht, was wirkliche Probleme sind. Während sie lamentieren sage ich: Es ist ein Traum! Ich lebe diesen Traum! Ich bin gesegnet. Ehrlich, ich fühle mich nicht gut dabei, wenn ich mich beschweren würde. Wenn Gott sagen würde: Augusto, was wünschst du dir mehr vom Leben? Du hast einen Wunsch frei. Ich weiß es nicht. Ich möchte nur Gesundheit für meine Familie und dass meine Familie glücklich ist. Das ist alles, was ich will, ich kann nicht mehr wollen.

Woher kommt diese Einstellung zum Leben?

Vielleicht, weil ich so gekämpft habe, um das zu erreichen, was ich habe. Ich komme nicht aus einer reichen Familie. Um Rennen fahren zu können, habe ich richtig hart kämpfen müssen. Ich habe keinen Manager. Mein Vater hat ein Restaurant. Er ist niemand, der Millionen hat und die Welt ändern kann. Ich habe keinen großen Namen, ich bin ein Niemand. Ich kämpfe jeden Tag, um das zu behalten, was ich jetzt habe. Wenn ich die Jungs in der World Series sehe, die einen Vater haben, der bezahlt und bezahlt… Ich sage ihnen: Was willst du, schnapp dir die Chance. Ich hatte diese Chance nicht, weil ich nicht das Geld hatte.

Wie hast du es geschafft?

Mauro Sipsz war der Besitzer von N-Technology. Er war derjenige, der die Autos fahren ließ. Er ist ein wirklich guter Freund von mir und ich mag ihn sehr. An dem Tag, an dem ich meinen Vertrag unterschreiben sollte, hat er mich angesehen und gefragt: ‚Bist du sicher, was du da machst? Du bist zwanzig Jahre alt und du willst einen Tourenwagen fahren? Du hast die Pace, du gehörst in die Formel 1. Bist du sicher?‘ Das war das fairste Statement, das ich je im Leben gehört habe. Ich sagte: ‚Nein Mauro, ich habe keine Chance. Ich liebe, was ich mache, ich möchte Rennfahrer werden. Das Leben gibt dir keine zweite Chance. Das ist die einzige Chance, die ich habe, und daher werde ich sie mit aller Kraft schnappen, die ich habe. Ich möchte GP2 und am Ende Formel 1 fahren, aber ich werde hier mein ganzes Herzblut reinstecken, denn ich möchte auf jeden Fall professioneller Rennfahrer werden.‘

Wie hart war es, den Traum aufgeben zu müssen?

Ich hatte 2003 einen Vertrag bei einem Formel-1-Team unterschrieben, das mir die Chance gab, um einen Sponsor zu kämpfen. Es war damals schwieriger zu den Sponsoren zu gehen. Aber damals war die Realität, dass man bezahlt hat, um in der Formel 1 zu fahren. Es war nur nicht so offensichtlich. Heute schockt das keinen mehr. Ich hatte eine Deadline um einen Sponsor zu finden, ich konnte aber keinen finden und so bin ich aus dem Vertrag geflogen. Das war die schmerzvollste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe. Denn als Kind fährst du Go-Kart-Rennen und träumst von der Formel 1. Dann bekam ich die Chance, Werksfahrer für CRG zu werden und ich musste die Chance nutzen, denn mein Vater hatte kein Geld mehr, um mir das Go-Kart-Fahren weiter zu bezahlen. Ich habe meine Heimat verlassen, um alleine nach Europa zu gehen. Und 1999 hatten wir kein Internet, wir hatten kein Facebook, wir hatten kein Skype, sogar Mobiltelefone waren noch richtig selten. Am Anfang war es wie ein Traum: ‚Du gehst nach Europa, yeah.‘ Aber mit der Zeit wurde es mehr ‚Oh bullshit‘. Und dann kam der 1. Januar 1999.

Wie war der Tag für dich?

Mein Vater hatte mich am Flughafen abgesetzt. Ich musste alleine los, ohne Handy, ohne Computer. Es war wirklich hart für mich. Weil ich einfach nicht sicher war, ob ich das Richtige tue. Ich denke für meinen Vater und für meine Mutter war es auch eine schlimme Sache. Mein Vater sagte mir: ‚Geh ins Flugzeug. Du fliegst nach Mailand. Da wartet jemand vom Team. Und pass auf dich auf.‘ Als ich durch die Security durch war, bin ich auf die Toilette gegangen und habe nur noch geheult. Ich habe nicht vor meinen Eltern geweint, denn ich wollte meine Schwäche nicht zeigen. Und ich habe richtig heftig geheult, denn ich hatte richtig Angst davor das zu tun. Aber es hat mich stark gemacht. Und es hat mir wirklich geholfen ein Mann zu werden und das Leben etwas anders zu sehen.

Würdest du deine Tochter auf diese Art erziehen?

Ich versuche, sie so gut wie möglich zu steuern und ich versuche, sie so bodenständig wie möglich zu halten, denn natürlich ist meine Tochter ein privilegiertes Mädchen. Sie wächst in Monaco auf. Sie weiß nicht, wie die Welt so läuft. Aber es gibt kein Handbuch, wie man ein Kind erzieht. Ich versuche ihr die Grundlage zu geben, stark zu sein. Denn sie wird nur Erfolg haben, wenn sie stark wird und sie muss sich anstrengen. Sie kriegt nicht nur Geschenke, sie bekommt nicht alles, was sie möchte. Sie muss verstehen, wie schwer es ist, etwas zu bekommen und dass man sich für etwas anstrengen muss. Ich versuche sie mutig zu machen, denn sie muss mutig sein.
Wenn sie auf dem Spielplatz auf der Schaukel sitzt und ein größeres Kind kommt und schubst sie, dann guckt sie natürlich zu mir und will Hilfe. Ich sage dann: ‚Nein, geh selbst hin und besorge dir den Platz, du musst dir den Platz erobern.‘ Ich treibe sie wirklich an, es selbst zu machen. Das ist das einzige, was ich probieren kann. Ich möchte, dass sie glücklich ist.

Wann würdest du sagen, ist dein Kampf erledigt, als Rennfahrer?

Er ist nie fertig. Er wird fertig sein, an dem Tag, an dem ich in Rente gehe. Und ich werde an dem Tag zurücktreten, an dem ich sehe, dass es mir keinen Spaß mehr macht und an dem Tag, an dem ich fühle, dass ich nicht mehr habe, was ich brauche. Ich würde nicht sagen, dass ich das Beste brauche, aber ich bringe wirklich mein Herz ein. Jedes Mal, wenn du mich da draußen fahren siehst, bringe ich wirklich mein volle Kraft und meine ganze Leidenschaft ein, die ich habe. Ich bin immer der erste, der an der Strecke ist. Weil ich morgens stolz aufwache und mit viel Freude, weil ich hier sein will, weil ich der Beste sein will, weil ich pushen will. Der Tag, an dem ich das verliere, ist der Tag, um aufzuhören.

Sehen wir im Moment den besten Augusto?

Ich würde sagen, den erwachsensten. Ich habe eine Wandlung durchgemacht, seit ich meine Karriere gestartet habe. Ich kann definitiv sagen, dass ich wirklich genieße, was ich mache und dass ich wirklich stolz auf mich selbst bin. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich jedes Mal beweisen muss, wie gut und wie ich schnell ich bin, wenn ich im Auto sitze. Ich mache das jetzt für mich selbst.

Bist du jemand, der lange über Fehler nachdenkt?

Ich habe von meinem Vater gelernt, dass du ehrlich zu dir selbst sein musst. Um als Mann erwachsen zu werden, musst du nach Hause kommen, in den Spiegel schauen und sagen können, was du heute getan hast. Und das versuche ich jeden Tag. Ob ich nun ein Interview gebe, oder wir das Auto einstellen oder ich Zeit mit meiner Ehefrau oder mit meiner Tochter verbringe. Bevor ich ins Bett gehe, schaue ich mich selbst im Spiegel an und denke an Dinge, die ich hätte besser machen können. Ich analysiere das, aber dann lasse ich das auch hinter mir. Denn im Leben geht es darum nach vorne zu schauen, positiv zu sein. Du lernst aus deinen Fehlern, aber du kannst nicht nur von deinen Fehlern leben und genauso wenig von deinem Erfolg.

Du sagst, die DTM ist eine brillante Serie. Es gibt aber auch viele Kritiker. Was denkst du macht die DTM falsch?

Es ist immer einfach zu kritisieren. Wenn man jedes Jahr die Regeln ändert, macht es das noch verwirrender für die Leute. Sie brauchen vielleicht das ganze Jahr, um es halbwegs zu verstehen und im nächsten Jahr wird es wieder geändert. Daher verstehe ich es, aber natürlich kann man auch nicht alle glücklich machen. Die Kritiker sehen nicht das ganze Bild. Die DTM ist eine der Serien, die es am längsten gibt. Es gab Krisen, sie haben an Problemen gearbeitet, aber sie ist immer noch da. Und das zeigt, wie stark diese Serie ist. Sie hat ein sehr starkes Erbe.

Was macht sie so stark?

Aus meiner Sicht ist die DTM die schwierigste Serie auf dem Planeten. Die Autos sind wirklich gut, die Fahrer sind auf sehr hohem Niveau. Und ich bin mir sicher, dass du jeden Fahrer aus jeder Meisterschaft hierher bringen kannst und er hätte zu kämpfen. Wenn du kritisieren willst, kannst du hier viele Dinge kritisieren. Aber du kannst auch viele Dinge in der Formel 1 kritisieren. Du kannst überall viele Dinge kritisieren. Aber im Leben geht es nicht darum zu kritisieren, es geht darum, sich zu verbessern. Und wenn wir alle unsere Anstrengungen einbringen und alle in einer positiven Art auf diese Sache schauen, dann werden wir dieses Ding auch nach oben befördern. Wenn Audi es besser macht, wenn BMW es besser macht, wenn Mercedes es besser macht - dann hat jeder ein besseres Bild von der DTM. Vielleicht bekommen wir dann noch einen anderen Hersteller. Manchmal finde ich es wirklich traurig, dass die Leute nicht das ganze Bild sehen. Sie verbringen lieber mehr Zeit damit Polemik zu machen. Vielleicht hat man dann im nächsten Monat 20 Prozent mehr Auflage. Aber was ist danach? Die Meldung ist alt und was dann? Nichts. Für einen Monat, für eine Woche, hat man mehr Leser und dann sind sie weg. Die Leser werden sich sagen, was für eine schrottige Meisterschaft und warum sollte ich das verfolgen? Und dann muss man wieder eine negative Story finden.

Was müsste die DTM verbessern?

Jedes Jahr die Regeln zu ändern macht es noch komplizierter. Du musst den Ingenieuren die Freiheit lassen, mit den Strategien zu spielen. Die Fans würden es vielleicht nicht sofort verstehen, aber sie würden es schnell akzeptieren. Stell dir vor, das Rennen ist frei. Du kannst mit zwei Stopps fahren, oder mit einem Stopp oder ohne Stopp. Die ersten Rennen wären sehr verwirrend. Was? Dieser Kerl kommt von hinten? Aber sag mir, was war schlimm daran in der Vergangenheit, dass jemand, der als Letzter gestartet ist, das Rennen gewonnen hat? Wie nett wäre das für den Zuschauer? Ich kenne die Kritiken. Es ist zu kompliziert, wir verstehen es nicht, was für ein Unsinn. Man muss das Positive sehen.

Was glaubst du warum weniger Zuschauer an der Strecke sind?

Weil sie weniger Zeit bekommen, um die Autos zu sehen, und das zum selben Preis. Ich bezahle Betrag X und ich sehe die Autos dafür nun seltener als in der Vergangenheit. Ich denke, dieses Verhältnis könnte ein Grund sein. Wir könnten mehr Rennen haben. Ich könnte Sessions haben von Donnerstag bis Sonntag und hundert Rennen im Jahr. Es muss aber in der Balance bleiben. Ich denke, wir könnten ein paar mehr Rennen haben und mehr Zeit auf der Strecke. Aber wie viel mehr das die Hersteller kostet, ist weit jenseits meines Wissens.

Es gibt einige interessante Typen hier in der DTM. Warum gibt es immer wieder Kritik, dass der DTM die Typen fehlen?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, es liegt ein bisschen am Format der Meisterschaft. Denn am Ende müssen wir alle irgendwie verstehen, dass wir hier sind um die Hersteller zu promoten. Wir sind nicht hier, um Farfus zu promoten. Die Fans sind mehr marken- als fahrerverbunden. Wir könnten die Fahrer mehr unterstützen und pushen in diesem Bereich, aber ich kann auch das Gesamtbild sehen. Die Meisterschaft lebt wegen BMW, Audi und Mercedes und nicht weil es Farfus oder Fahrer A, B oder C gibt. Daher ist es auch ihr Recht, die Regeln zu diktieren und durchzusetzen. Aber du siehst, wir unterhalten uns und folgen nicht nur einer Presseerklärung. Ich bin offen für jeden, ich habe nichts zu verstecken, ich öffne mich. Mein Leben ist ein offenes Buch.

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