DTM-Projekt Mercedes: Einblick in das Innenleben
Der Frühling zeigt sich von seiner schönen Seite. Die Sonne scheint, das Thermometer erklimmt endlich mal zweistellige Temperaturen. Das kleine Örtchen unweit von Stuttgart erwacht langsam, dafür herrscht bei der HWA AG bereits rege Betriebsamkeit.
Ein symbolisches Bild an diesem Morgen in Affalterbach, wo Mercedes zum DTM-Kick-off geladen hat. Aufbruchstimmung ist zu spüren, gute Laune, Optimismus. Die acht Fahrer für die neue Saison sind gekommen, das neu strukturierte Team hat sich ebenfalls in der Werkstatt von HWA versammelt. Dem Herzstück des DTM-Projekts von Mercedes. Dass die Werkstatt ebenfalls neu gestaltet wurde, ist nur ein weiteres Symbolbild für den angestrebten Aufbruch in die Zukunft. Einer erfolgreicheren, wenn möglich.
Blick hinter die Kulissen
Die Stuttgarter gewährten einen der seltenen Einblicke hinter die Kulissen. Verschiedene Stationen waren vorbereitet: Boxenstopp-Training, die Fertigung der Carbonteile für die Karosserie oder der Motorenprüfstand. Hier wird das Innenleben des C63 DTM auf Herz und Nieren geprüft, kann eine komplette Saison simuliert werden. Und das aus gutem Grund. Denn das Reglement erlaubt lediglich einen Motor pro Saison. Muss er doch getauscht werden, drohen Strafen.
Bei den Boxenstopps wird ebenfalls nichts dem Zufall überlassen, die Jungs an der Box müssen schnell sein. Gute drei Sekunden brauchen sie für die vier Reifen, kleinste Fehler werden sofort bestraft. Routinier Gary Paffett schaut sich das Treiben an. Erzählt, wie wichtig und essentiell diese Stopps sind. In der DTM geht es traditionell eng zu, die 24 Fahrer liegen im Qualifying oft nur wenige Zehntelsekunden auseinander. Im Rennen kann man nur wenig Zeit gutmachen, beim Reifenwechsel dafür umso mehr verlieren.
Verloren hat der Brite in der vergangenen Saison oft. Der Meister von 2005 landete im Klassement mit fünf Punkten auf dem vorletzten Platz. Dem ehrgeizigen Paffett dürfte das fast schon körperliche Schmerzen bereitet haben. Doch auch für ihn ist 2015 so etwas wie ein Neuanfang. Mit nunmehr 34. Er soll seine Erfahrung im neuen Team ART einbringen.
Alles Kinder
Paffett ist bestens gelaunt, schaut seinen jungen Kollegen bei der Zeitenjagd im Rennsimulator zu. Dreht sich um, lacht und sagt: «Kinder, oder?». Am Ende setzt aber auch er sich in den virtuellen Mercedes und haut die drittbeste Zeit raus. Bester an diesem Tag: Daniel Juncadella. Meine persönliche Zeit: Ausbaufähig, um es höflich zu formulieren.
Der CFK-Fertigung bei HWA kommt in dieser Saison eine besondere Bedeutung zu. Hier entstehen die Carbonteile für die Karosserie, die in der neuen Saison bei inzwischen 18 statt nur noch zehn Rennen wohl öfter mal ausgetauscht werden könnten. Umso wichtiger sind natürlich Piloten, die einen überschaubaren «Verschleiß» haben. Denn neben dem Umstand, dass es bei Reparaturarbeiten zwischen den beiden Rennen am Samstag und Sonntag stressig werden könnte, sind die Carbonteile vor allem teuer.
«Wir gehen mit dem Ziel in die Saison, einen deutlichen Schritt bei der Performance zu machen und um Siege mitfahren zu können. Inwiefern sich dieses Ziel als realistisch erweist, wird sich aber erst nach dem ersten Rennen herausstellen. Zu sagen, wir wären zufrieden mit dem zweiten Platz, wäre die falsche Aussage. Aber man muss sich realistische Ziele setzen», sagt Ulrich Fritz, der neue DTM-Leiter bei Mercedes.
Es wird tiefgestapelt bei Mercedes. Zu tief sitzen noch die Wunden aus der vergangenen Saison, als das erfolgsverwöhnte Team von der Konkurrenz nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen wurde. Hoffnungslos dominiert und teilweise sogar demontiert wurde. Klar, ein paar Highlights gab es, doch die waren den Umständen wie dem Wetter oder der Strecke geschuldet. Unter dem Strich war klar: So kann es nicht weitergehen.
Und bereits während der vergangenen Saison wurden Schlüsse aus den schlechten Leistungen gezogen und Umstrukturierungen vorgenommen, in erster Linie personelle. Entgegen der eigentlichen Philosophie wurden nun auch namhafte Leute an Bord geholt, eingekauft, um das strauchelnde Projekt wieder auf Vordermann, ans Laufen zu bringen. Mercedes wurde von Audi und BMW eine Zusatz-Homologation gewährt. Die Stuttgarter durften also weiterentwickeln, während die Boliden der Konkurrenz eingefroren wurden.
Fritz stellt schnell klar: Die Zeit zum Nachrüsten wurde intensiv genutzt. Zeit für ein neues Überauto gab es nicht. «Wir lernen jeden Tag auf der Strecke. Ich glaube nicht, dass wir ein überlegenes Auto haben werden. Das Reglement ist so eng, es ist leichter, sich in die falsche Richtung zu verhauen», sagt Fritz. Letzten Endes muss man nun schauen, wie weit Mercedes hinter der Konkurrenz lag und wie viel man aufholen konnte. Einen ersten Fingerzeig geben die vorletzten Testfahrten, die an diesem Mittwoch in Estoril über die Bühne gehen. Unter dem Strich nur wenig Zeit für viele Veränderungen.
Mehr Rennen, mehr Ersatzteile
Denn in der DTM gibt es 2015 ein neues Reglement. Nicht nur insgesamt 18 Rennen und an einem Wochenende jeweils zwei Qualifyings, sondern auch vier Reifensätze für die vier Einsätze bei der Zeiten- und Punktejagd. «Letzten Endes ist es eine Strategiefrage: Wie gehe ich so ein Wochenende an? Das ist für das ganze Team ein Ansporn», so Fritz. Anders ist es vor allem. Alle Bausteine eines DTM-Wochenendes wurden neu zusammengefügt mit einem neuen Zeitplan. Eine Herausforderung, die machbar sei, so der DTM-Leiter.
Daneben können die Fahrer DRS, den verstellbaren Heckflügel, 2015 dreimal pro Runde nutzen. Paul di Resta ist angetan von dem neuen Spirit bei Mercedes. «Ich habe gesehen, dass unser Team wächst und wächst. Es ist eine neue Philosophie im Auto, neue Leute haben neue Ideen eingebracht», sagte er und fügte hinzu: «Mit den zwei Rennen setzt du die Fahrer noch mehr unter Stress. Außerdem will man auch die Chance haben, etwas gutmachen zu können. Und die Fans wollen die Atmosphäre aufsaugen, Partys feiern und die Autos auf der Strecke sehen.» Aufbruchstimmung eben. Auch in der gesamten DTM?