Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Bernie Ecclestone: Formel 1 hat ihm viel zu verdanken

Von Günther Wiesinger
Bernie Ecclestone mit Paddy Lowe, dem langjährigen Technikchef von Mercedes AMG

Bernie Ecclestone mit Paddy Lowe, dem langjährigen Technikchef von Mercedes AMG

Bernie Ecclestone hat in den letzten 40 Jahren aus der Formel 1 ein Milliarden-Unternehmen gemacht. Der abservierte Zampano entdeckte frühzeitig den Wert dieser Meisterschaft.

Es hat sich abgezeichnet. Als die amerikanische Liberty Media Corporation vor einem halben Jahr für 4,4 Milliarden US-Dollar neuer Großaktionär der «Formula One Group» wurde und Liberty-Spitzenmanager Chase Carey in Singapur und danach beim WM-Finale in Abu Dhabi auftrat, waren die Tage von Bernie Ecclestone als Geschäftsführer in der Formel 1 gezählt.

Die Manager der Liberty Media Corporation liessen keinen Zweifel daran, dass die Zukunft einer modernen Formel 1 nicht in den Händen eines 86-Jährigen liegen kann.

Aber es gab genug gutgläubige Traditionalisten, die hofften, Ecclestone werde aufgrund seiner unbestreitbaren Verdienste ein hochrangiger Beraterposten eingeräumt.

Ein Irrtum.

Wer das Gras wachsen hörte, der wusste seit Wochen: Bernie Ecclestone wird abserviert.

Bei so einem Milliardendeal bleibt kein Platz für Sentimentalitäten.

Doch jeder Mensch, der jemals persönlich mit Bernie Ecclestone zu tun hatte, wird dieses unrühmliche Ende bedauern.

Natürlich sind auch «Mr. E» Fehler unterlaufen, in München München stand er wegen des Vorwurfs der Bestechung bei der Zusammenarbeit mit der BayernLB vor Gericht. Zu einem Urteil kam es nicht, das Verfahren wurde mit einer Zahlung von 100 Millionen Dollar des Engländers beendet. Bernie leistete sich ein paar verbale Ausrutscher, «political correctness» war nicht seine größte Stärke.

Aber die Lebensleistung von Bernie ist gigantisch. Sie lässt sich mit Worten kaum beschreiben.

Als Brabham-Formel-1-Teambesitzer erkannte er in den frühen 1970er-Jahren den Wert dieser automobilen Rennserie – und machte aus ihr eine Goldgrube. Ecclestone begriff als erster Mensch im Motorsport den unermesslichen Wert von TV-Rechten und von Bandenwerbung («signage»). Er riss dann geschickt immer mehr Macht und Einfluss und Deals an sich, denn der Weltverband FIA (mit der Sportabteilung, welche zwischendurch FISA genannt wurde) hinterließ ein Vakuum.

Bernie Ecclestone versammelte die F1-Teams in der Formula One Constructors’ Association (FOCA) hinter sich. Er trat sodann als Sprachrohr des ganzen Startfelds bei den Veranstaltern an und handelte endlich vernünftige Antrittsgelder aus, er verscherbelte die brach liegenden TV-Rechte an die TV-Stationen, diese Beträge hatten bis dahin die lokalen Promoter eingesteckt. Die meisten Organisatoren sträubten sich sowieso gegen TV-Live-Übertragungen, sie fürchteten einen Zuschauerschwund.

Ecclestone, ein Mann mit Handschlag-Qualität, erkannte: Durch weltweite TV-Übertragungen lassen sich mehr Sponsoren finden, man kann Namensrechte für die Grand Prix verkaufen und die kahlen Pistenränder mit Werbebotschaften zu Geld machen.

Die Teamgründer und Teambesitzer waren damals «Garagisten» wie Ken Tyrrell, John Surtees, Jack Brabham, Frank Williams oder Mo Nunn, sie wollten Rennautos bauen und Rennen fahren, nur Ferrari war als Werk dabei. Niemand kümmerte sich um die Promotion der Rennserie, keiner erkannte deren immensen Stellenwert. Die Veranstalter speisten die Teams gerne mit lächerlichen Beträgen ab.

Ecclestone übernahm das Brabham-Team und verteilte die Einnahmen bald nach einem Schlüssel, den nur er begriff, an die Teams, alle geschäftlichen Vorgänge liefen geheim und klandestin ab. Aber die Rennställe schwammen plötzlich vergleichsweise in Geld, vorher waren nur Brosamen für sie abgefallen. Deshalb hüteten sich die Teamchefs vor vorlauten Fragen...

Ich erinnere mich: Frank Williams, arm wie eine Kirchenmaus, rief 1976 vom Flughafen Zürich meinen Journalistenkollegen Dieter Stappert an – und lieh sich von ihm 500 Franken.

1983 hatte Ensign-Chef Mo Nunn beim Österreich-GP für seine Fahrer Cecotto und Guerrero genau einen Ersatzmotor von Cosworth im Lkw. Für die ganze Saison. Später verheizten de Teams 180 Motoren pro Saison. Zum Beispiel zu Häkkinen-Zeiten bei McLaren Mercedes, als Alex Wurz und Pedro de la Rosa fast Tag udn Nacht testeten.  

Ecclestone machte aus Ken Tyrrell, Ron Dennis und Co. wohlhabende Geschäftsleute. Wenn ein F1-Promoter die Gebühren nicht bezahlen konnte, sprang Bernie oft selbst als GP-Organisator ein – auf dem Österreichring, in Spa-Francorchamps und so weiter.

Er kaufte irgendwann sogar den Circuit Paul Ricard, als dort die einst vorbildliche Anlage dem Verfall preisgegeben war.

Ecclestone führte jahrelangen einen erbitterten Krieg gegen die ehrenamtlichen Funktionäre der FIA und FISA, bis es zum großen Knall kam. Der Zwist gegen FISA-Präsident Jean-Marie Balestre eskalierte 1982, als Bernie die FOCA-Teams vor dem Imola-GP zum Boykott aufrief – nur die FISA-treuen Teams von Ferrari, Renault, Alfa Romeo, ATS und Osella reisten an, dazu Ken Tyrrell, weil er einen italienischen Hauptsponsor hatte, insgesamt 14 Autos statt wie normal 31!

Nach diesem FISA-Desaster gab Balestre klein bei, Ecclestone gehörte jetzt die ganze Macht, er kontrollierte als Diktator die Formel 1, aber er ließ die Teams finanziell gut leben und ließ ihnen ein Mitspracherecht bei den sportlichen und technischen Vorschriften. Niemand muckste auf.

Zehn Jahre später exerzierte Ecclestone noch einmal die Entmachtung eines Weltverbands vor. Diesmal sprang er im Herbst 1991 den Motorrad-GP-Teams zur Seite, er brachte die Teams, Fahrer und Werke hinter sich – und hob die WM der FIM aus den Angeln, indem er die Gründung einer Piratenserie androhte.

Im letzten Moment lenkte die FIM ein, sie verkaufte ihre Macht für 6 Millionen US-Dollar pro Jahr an die Dorna. Ecclestone gründete die Firma Two Wheel Promotions (TWP), bot den Veranstaltern in drei GP-Klassen (125, 250 und 500 ccm) volle Startfelder an und handelte die Gebühren für die Rennen mit ihnen aus. Die WM-Klassen 80 ccm, 350 ccm und Seitenwagen wurden bei dieser Revolution aus dem GP-Programm gestrichen.

Doch Ecclestone erkannte, dass im Zweiradsport nicht so viel Geld steckte wie in der Formel 1. Also verkaufte er TWP für 52 Millionen US-Dollar nach einem Jahr an die Dorna; gegründet hatte er diese Bude mit einer Einlage von 25.000 Pfund.

Bernie Ecclestone roch ein gutes Geschäft sein ganzes Berufsleben lang von weitem. Er rechnete schneller als ein Dutzend Geschäftspartner zusammen.

Irgendwann entpuppte sich die Formel 1 als Milliardengeschäft. Ecclestone führte den Betrieb immer noch hemdsärmelig, er entzog sich jeder Kontrolle durch einen Aufsichtsrat, niemanden störte es.

In finanzielle Not geratene Rennställe von Alain Prost über Paul Stoddart bis Peter Sauber bekamen von ihm aus irgendeiner dunklen Kasse Subventionen, das Team von Ken Tyrrell hat Ecclestone im Alleingang über Wasser gehalten. Absegnen liess er sich diese Zuschüsse kaum. Gleichzeitig schleuste er global tätige Konzerne wie BMW, Jaguar, Ford, Porsche, Honda, Toyota, Yamaha, Renault und Mercedes in die Formel 1, früher war Ferrari jahrelang der einzige Automobilhersteller in dieser Rennserie gewesen.

Dann begann der Ärger.

Aus der FOCA entstanden Gebilde wie die FOM (Formula One Management) und SLEC (für die ersten Buchstaben des Namens seiner Ehefrau), aber nach der Scheidung von Gattin Slavica überstieg Ecclestones Finanzbedarf sein Barvermögen bei weitem, er musste SLEC-Anteile verkaufen und neue Partner und Großaktionäre in Kauf nehmen. 2005 stieg «CVC Capital Partners» in die Formel 1 ein, eine der weltgrößten Private Equity- und Investment-Firmen. Danach konnte Ecclestone nicht mehr schalten und walten wie in der Vergangenheit.

Immer mehr Gremien redeten mit. Die FIA, die Formel-1-Mitbesitzer von CVC, die Werke und die Teams.

Bernie verlor an Einfluss. Das war spätestens bei der umstrittenen Einführung der Turbomotoren zur Saison 2014 hin zu sehen, diese «grüne Formel 1» hatte ihm FIA-Präsident Jean Todt eingebrockt.

In der Blütezeit von Stars wie Senna, Mansell, Piquet, Schumacher, Vettel, Hamilton und Co. waren die Eintrittspreise für die Zuschauer in astronomische Höhen geschraubt worden, dazu auch die Antrittsgebühren für die Veranstalter. Da Scheichs und Diktatoren bis zu 60 Millionen Euro für einen Formel-1-GP zahlten, wanderten die Rennen nach Bahrain, Abu Dhabi, nach Shanghai, Sotschi, Südkorea und Aserbaidschan. Dafür fielen GP-Schauplätze in den Niederlanden, in Österreich, Frankreich und teilweise auch in Deutschland aus dem Programm; Imola, Monza und andere Traditionsstrecken wurden zu Wackelkandidaten.

Der Korruptionsprozess wegen einer mutmasslichen Bestechung von Gerhard Gribkowsky von der BayernLB kratzte am Image von Ecclestone; er zog sich mit einer Millionenzahlung aus der Affäre.

Seit der Wirtschaftskrise von 2008 erlebt die Formel 1 einen Zuschauerschwund, durch die Mercedes-Siegesserie in der Turbo-Ära (51 Siege in 59 Rennen) sinken TV-Quoten und Medieninteresse.

Die hohen Kosten (die Turbomotoren kosten bis zu 54 Millionen Euro für ein Zweifahrer-Team pro Saison) gehen die privaten Rennställe vor die Hunde, 2017 werden womöglich nur noch 20 Fahrer am Start sein. In der Glanzzeit waren es fast 40, Freitagfrüh müsste eine Vorqualifikation gefahren werden.

Jetzt ist die Ära des begnadeten Dealmakers Bernie Ecclestone zu Ende gegangen.

Mit 86 Jahren war er sich gewiss zu schade, irgendeinen Job als Frühstücksdirektor von Liberty Media auszuüben.

Jetzt muss die Liberty Media Corporation beweisen, dass sie nicht nur Medienunternehmen und US-Baseball-Teams erfolgreich leiten kann, sondern auch in der Lage ist, die kränkelnde Formel 1 wieder aufzupäppeln.

Liberty-Chef Chase Carey (62) ist ein großes Kaliber. Der US-Amerikaner war Executive Vice Chairman des 21st-Century-Fox-Konglomerats und ist jetzt Vorsitzender der Formula One Group; er gilt als engster Vertrauter des Medienmoguls Rupert Murdoch.

Was dem glühenden Pay-TV-Befürworter an motorsportlichen Fachwissen fehlt, werden ihm Spitzenkräfte wie Ross Brawn vermitteln.

Careys Jahresgehalt wurde im Vorjahr auf 26 Millionen US-Dollar beziffert. Murdoch wird schon wissen, warum ihm der neue Formel-1-Zampano so ein stolzes Sümmchen wert ist.

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