Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Motoren 2021: Forderungen der Hersteller an die FIA

Von Mathias Brunner
Andy Cowell und seine Mitarbeiter haben den besten Formel-1-Motor der Gegenwart gebaut

Andy Cowell und seine Mitarbeiter haben den besten Formel-1-Motor der Gegenwart gebaut

​Der Mineralölkonzern Petronas hat in Turin ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet. Dabei sprach Mercedes-Teamchef Toto Wolff auch über die neue Formel-1-Motorgeneration ab 2021.

Mit dem Schritt in die neue Turbo-Ära ab 2014 hat sich die Formel 1 tüchtig in Knie geschossen. Viele Fans waren von der mageren Geräuschkulisse enttäuscht und wandten sich vom Sport ab. Die Turbomotoren mit Mehrfach-Energierückgewinnung sind technische Wunderwerke, keine Frage, aber die Geheimniskrämerei der Hersteller führte dazu, dass die Faszination Technik beim Fan nicht so richtig ankam.

Aus den verblüffend kompakten 1600-ccm-Motoren in V6-Anordnung wird dank Mehrfach-Energierückgewinnung 1000 PS geschöpft, in Sachen Effizienz ist das atemraubend. Aber die meisten Fans lässt das kalt: Sie vermissen das ohrenbetäubende Kreischen der früheren Saugmotoren.

Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel: «Ginge es nach mir, würden wir mit V12-Saugmotoren fahren.»

Der zweifache Weltmeister Fernando Alonso: «Die Formel 1 hat heute einen Sound, den sie nicht verdient.»

Der vierfache Weltmeister Lewis Hamilton: «Wir müssen sicherstellen, dass unsere Autos wieder grandios klingen. Wir haben beim Saisonbeginn in Australien jeweils tolle Flugshows, der Zweisitzer-Formel 1 heult um den Melbourne-Kurs mit seinem grandiosen V10-Saugmotorsound. Da denke ich immer: So sollten unsere Wagen klingen! Das ist Spektakel! Der Sound ist so wichtig. Wir haben die beste Technik, die im GP-Sport je geboten wurde. Aber wir haben nicht die passende Klangkulisse. Mir selber geht das auch über die Formel 1 hinaus so: Wenn ich einen tollen Sportwagen sehe, dann erwarte ich auch einen satten Sound. Ein Ferrari oder ein Mercedes-AMG, hör dir an, wie fett diese Autos klingen! Das ist doch, was die Menschen fasziniert.»

Die aufgeladenen Hybridmotoren wurden unter dem Druck der Autohersteller und mit dem Ziel von Jean Todt eingeführt, die Formel 1 serien- und umweltrelevanter zu machen.

Der frühere Ferrari-Werksfahrer Stefan Johansson konnte darüber nur den Kopf schütteln: «Rennwagen sind dazu da, so schnell als möglich von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Bei Serienfahrzeugen hingegen wird uns vorgekaukelt, sie sollen dazu beitragen, den Planeten zu retten. Rennautos und Serienwagen sollten sich in verschiedene Richtungen entwickeln dürfen. Wenn wir aus dem Sport etwas für die Serie lernen können, schön, aber ich finde nicht, dass hier der Schwerpunkt gelegt werden sollte.»

«Ich halte Hybridtechnik jetzt nicht gezwungenermassen für etwas Gutes für einen Rennwagen. Jene Rennwagen oder –serien, wo solche Technik zum Einsatz kommt, erfinden nichts neu. Die Rennställe werden vielmehr durch das Reglement zu solcher Technik gezwungen. Selbst wenn ein Team ein anders Konzept oder einen frischen technischen Ansatz versuchen möchte, dürften sie es nicht. Also wird Technik aus der Serie entlehnt und für den Rennsport angepasst.»

«Ich finde, wir haben uns in Rennserien wie mit der Formel 1 auf einen Holzweg begeben, was ein sinnvolles Konzept angeht. Das ist nicht mehr, was ein Rennwagen sein sollte. Niemand im Sport hat etwas von dieser wahnsinnig komplexen und teuren Hybridtechnik. Die Technik im Serienauto ist weiterentwickelt als in jedem Formel-1- oder LMP1-Renner. Und wenn wir uns die aerodynamische Seite betrachten: Die ist für den Serienbau nun wirklich nicht von Belang.»

«Ein Teil des Problems wittere ich bei den Werbeabteilungen der Autohersteller. Gewiss ist es eindrucksvoll, wenn Marketing-Spezialisten von diesen tollen Antriebseinheiten schwärmen, wie effizient diese Motoren arbeiten und das alles. Aber unter dem Strich ist das alles nur PR, nichts Anderes.»

«Ich meine, wenn wir von der ach so tollen Effizienz der Formel-1-Motoren sprechen, dann spazieren wir doch beim britischen Grand Prix mal vom Fahrerlager hinüber zum Parkplatz, wo 350 Lastwagen stehen, die den ganzen Formel-1-Tross kreuz und quer durch Europa karren. Top-Teams verwenden ein Dutzend Laster nur für ihre gewaltigen Gastbereiche. Ich weiss, diese Argumentation hinkt, aber ich will nur zeigen, wie scheinheilig das Öko- und Hybridthema in Wahrheit ist.»

Probleme endlich anpacken
Die Überlegenheit von Mercedes schreckte neue Hersteller ab: Nur Honda wagte den Einstieg in die Formel 1 und fuhr drei Jahre lang hinterher. Ergebnis: McLaren erzwang die Scheidung und arbeitet ab 2018 mit Renault zusammen. Zu wenige Motorhersteller in der Formel 1 ist eines der Themen, wo Ross Brawn, früher Technikchef von Ferrari und Mercedes-Benz, nun in Diensten von Formel-1-Grossaktionär Liberty Media, den Hebel ansetzen will.

Der Engländer weiss: «Was in der Formel 1 in den vergangenen Jahren versucht wurde – mehr Serienrelevanz zu erreichen. Aber wir stecken mitten in einer Revolution, und in zehn Jahren werden die Serienfahrzeuge wieder ganz anders sein. Können wir technische Hochgradigkeit behalten, es aber wagen, uns wieder von der Serie weg zu bewegen? Falls nicht, wäre das logische Ende ein Elektroantrieb. Aber diese Nische wird bereits von der Formel E abgedeckt. Formel 1 hingegen, das ist für mich nicht nur High-Tech, sondern auch ein Zirkus, im positivsten Sinne des Wortes. Wir müssen uns wirklich in Ruhe überlegen, wie wir den bewahren.»

«Möglicherweise ist es an der Zeit, sich zu sagen – gut, wir hatten nun diese technischen Zauberwerke, aber ist das wirklich das Ideale für die Formel 1? Wir müssen uns mit allen Parteien zusammensetzen, mit den Motorherstellern, den Teams, den kommerziellen Leitern des Sports, wir müssen definieren, was wir über 2020 hinaus möchten. Vielleicht den Motor von heute als Basis, aber weniger komplex und kostengünstiger, denn die heutigen Motoren sind zu teuer.»

«Wir haben dank der Hybridmotoren die Autowerke wieder begeistern können, nun aber ist es an der Zeit, die Zukunft ins Visier zu nehmen. Denn um einen Motor auf die Reihe zu bekommen, brauchen wir zwei Jahre Vorlaufzeit.»

An diesem Punkt sind wir jetzt.

Klar träumen viele Fans von einer Rückkehr zu den herrlichen V8- und V10-Kreissägen. Aber FIA-Präsident Jean Todt würgte die Erwartungen vieler Formel-1-Freunde ab wie ein Turbo den heutigen Motoren-Sound. «Grössere und lautere Motoren zurückzubringen, das würde von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Ich bin auch davon überzeugt: Würden wir sagen, lasst uns wieder Triebwerke verwenden, wie wir sie vor zehn Jahren gehabt haben, dann würden viele Autohersteller nicht mitziehen. Drei von vier Herstellern würden gehen.»

Mercedes-Partner Petronas (malaysischer Öl- und Gaskonzern) hat in Turin ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet. Dabei hat mein Kollege Franco Nugnes von der italienischen motorsport.com Mercedes-Teamchef Toto Wolff auf die kommende Triebwerksgeneration ab 2021 angesprochen. Der Wiener sagt: «Honda, Ferrari, Renault und Mercedes haben der FIA mitgeteilt, wie ihre Vision in Sachen Reglement ab 2021 aussieht.»

«Wir wollen Spitzentechnik und das Hybridprinzip behalten, weil wir das bei Strassenfahrzeugen sehen und nicht ignorieren können. Gleichzeitig dürfen die Motoren ab 2021 nicht komplett neu sein, weil wir sonst in den kommenden drei Jahren doppelten Aufwand hätten – den aktuellen Motor verfeinern und einen ganz neuen entwickeln. Das wäre eine Katastrophe. Aber wir kennen alle die Schwachstellen dieser heutigen Motorgeneration.»

«Wir müssen wieder Lärm haben, die Antriebseinheiten dürfen nicht mehr so kompliziert sein. Wir brauchen Motoren, die den Einstieg zusätzlicher Hersteller begünstigen. Wir haben das alles schwarz auf weiss festgehalten und der FIA mitgeteilt. Gilles Simon, technischer Leiter der FIA, arbeitet an einer tiefgehenden Analyse, welches die bestmögliche Lösung sein könnte.»

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