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Andreas Seidl: «McLaren wird Corona überleben»

Von Mathias Brunner
McLaren-Teamchef Andreas Seidl

McLaren-Teamchef Andreas Seidl

​Interview mit McLaren-Teamchef Andreas Seidl: Der 44jährige Passauer spricht über die stillstehende Formel 1 und Sparmassnahmen. «McLaren wird die Coronakrise überleben.»

Auch Formel-1-Teamchefs haben sich in Zeiten der Corona-Pandemie mit dem Konzept «home office» arrangiert, der deutsche McLaren-Teamchef Andreas Seidl ist da keine Ausnahme. Ein Gespräch mit dem 44jährigen Passauer würde in einer normalen Welt im weitläufigen Fahrerlager des Shanghai International Circuit stattfinden – denn am 19. April 2020 sollte eigentlich der Grosse Preis von China ausgetragen werden.

Aber unsere Welt ist nicht mehr normal, stattdessen wird das Leben der Menschen von der Corona-Pandemie beeinträchtigt. Die halbe Weltbevölkerung ist von Einschränkungen betroffen, für die meisten gilt – zuhause bleiben und sich schützen.

In der kleinen Welt der Formel 1 hat sich nach dem Abbruch des GP-Wochenendes von Australien kein Rad gedreht. Die meisten McLaren-Mitarbeiter flogen zurück nach Grossbritannien und begaben sich in Quarantäne. Ein Teil der Truppe blieb in Melbourne in Isolation und kehrte etwas mehr als zwei Wochen später nach Hause zurück. In einer Videokonferenz nimmt Teamchef Seidl zu den jüngsten Entwicklungen Stellung.

Wie ist es eigentlich, von zuhause aus ein Team zu steuern? Andreas Seidl meint: «Definitiv anders als alles, was ich in den vergangenen zwanzig Jahren im Motorsport gemacht habe. Gleichzeitig ist es auch interessant zu sehen, wie effizient man auch von Zuhause aus arbeiten kann, den ganzen modernen Kommunikationsmitteln sei Dank. Klar kann das den persönlichen Kontakt mit dem Team nicht ersetzen, aber wir lernen jeden Tag etwas dazu, und die heutigen Erfahrungen werden auch die Arbeit der Zukunft verändern. Wenn ich mir gerade die Sitzungen mit den anderen Teamchefs anschaue, dann waren das die diszipliniertesten und effizientesten Meetings, die man sich vorstellen kann.»

«Formel 1 ist Teamsport und mir fehlt der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern. Das geht sicher allen so. Und mir fehlt natürlich der Wettbewerb an den Pisten.»

«Der Arbeitsalltag ist noch immer intensiv, weil wir uns um sehr viel verschiedene Dinge kümmern müssen. Positiv ist, nach zwanzig Jahren mal eine Weile Teil des normalen Familienlebens zu sein. Auch wenn ich das Rennenfahren vermisse. Zwischendurch gehe ich spazieren, um abzuschalten, oder ich steige aufs Mountain-Bike. Alles, was halt vor dem Hintergrund der ganzen Einschränkungen erlaubt ist. (Beginnt zu schmunzeln.) Im Haushalt bin ich jetzt nicht die allergrösste Hilfe. Ich lese auch viel. Da interessieren mich vor allem Biographien über Sportler, ich habe über Damon Hill gelesen und über Johnny Herbert, Alex Ferguson und Dirk Nowitzki.»

Welches ist für Andreas Seidl ganz persönlich der schwierigste Aspekt in dieser Krise? Der Passauer wird nachdenklich: «Wenn du Leute in die Kurzarbeit schicken und der Belegschaft auch eröffnen musst, dass Gehälter gekürzt werden für eine bestimmte Zeit, dann ist das mit Sicherheit das Schwierigste – nicht nur innerhalb der Coronakrise, überhaupt in meiner Motorsportkarriere. Schön war zu erleben, welches Verständnis für diese Massnahmen aufgebracht wird, damit McLaren gut durch diese Krise durchkommt.»

«Der Alltag ist getrieben von den täglichen Entwicklungen. Wir haben viele Sitzungen mit den anderen Teams, mit dem Autoverband FIA, mit dem Formel-1-Management, um kurz- und mittelfristig die Zukunft von McLaren und der Königsklasse zu sichern.»

«In der Formel 1 sind wir gewohnt, dass wir in unserer Blase Vieles ignorieren, was um uns herum passiert. Wir haben etwa jahrelang ignoriert, dass wir jedes Jahr Geld verlieren durch die Formel-1-Teilnahme. Wenn man dieser Krise etwas Positives abgewinnen will: Corona ist ein Weckruf, dass wir dringend etwas ändern müssen. Wir müssen dahin kommen, dass der Sport für alle Teilnehmer finanziell gesünder, nachhaltiger ist. Das ist für mich derzeit der vielleicht wichtigste Aspekt.»

«Es findet ein sehr guter Austausch statt zwischen den Rennställen, aber auch mit dem Autoverband und der F1-Führung. FIA-Chef Jean Todt hat sich des Themas sehr gut angenommen. Grundsätzlich ist auch bei den grossen Teams Verständnis dafür zu spüren, dass wir uns in einer Krise befinden, welche die Existenz einiger Teams, vielleicht sogar der Formel 1 gefährdet. Der Wille zu schnellen Entscheidungen ist da.»

«Gleichzeitig müssen wir beachten, dass wir an der Formel 1 nicht zu viel verändern. Die Show und der Sport befanden sich 2019 auf hohem Niveau. Ich sehe die Königsklasse auch mit dem neuen Reglement auf dem richtigen Weg, um bessere Rennen zu bieten. Aber das Grundproblem ist die grosse Schere zwischen den drei Top-Teams und den anderen Rennställen. Wir haben uns immere dafür eingesetzt, dass der kommende Kostendeckel niedriger angesetzt wird als bei 175 Millionen. Und ich hoffe, dass wir es schaffen, diese Obergrenze weiter herunterzubringen. Nach diesem Jahr, in welchem wir alle viel Geld verlieren werden, ist es wichtig, eine positive Perspektive für die Zukunft zu haben – um die Verlust abzufedern und den Sport wirtschaftlich gesund zu machen.»

«Wir brauchen keine Revolution. Nicht alles muss unbedingt geändert werden. Gerade bei einem Thema wie dem Rennformat müssen wir vorsichtig sein. Aber der Sport muss finanziell tragbar sein, damit die Formel 1 weiter ein volles Startfeld bietet. Die Zuschauerzahlen zeigen, dass das Interesse an der Königsklasse weiter gross ist. Und wir haben 2019 guten Sport gezeigt, unter den Top-Teams und ganz besonders im Mittelfeld.»

Hand aufs Herz: Wie akut ist die finanzielle Lage bei McLaren? Wird das Team überleben? Andreas Seidl sofort: «Ja, McLaren wird die Coronakrise überleben und auch 2021 am Start sein. Es ist kein Geheimnis, dass die finanzielle Situation angespannt ist. Weil unser Preisgeld zum grössten Teil davon abhängt, dass wir Rennen fahren. Aber mit den ganzen im Team getroffenen Massnahmen, also Kurzarbeit, Lohnkürzungen, Verlängerung des Lockdowns im Werk, haben wir alles getan um sicherzustellen, dass wir das Team schützen und durch die Krise kommen.»

«Natürlich gibt es Unsicherheit. Denn keiner kann heute sagen, wie viele Rennen wir 2020 noch fahren können. Und davon hängt nun mal ab, wie hoch unsere Einkünfte sind. Grundsätzlich lautet der Grundsatz – jedes Rennen, das wir fahren können, ist gut für uns.»

Keine neuen Rennen, kein frisches Preisgeld. Viele Leser fragen sich: Wie viel rennfreie Zeit kann sich ein Formel-1-Team wie McLaren leisten? «Wir sind vorbereitet, selbst auf den schlimmsten Fall, dass nämlich überhaupt nicht gefahren werden kann. Hier sind wir auf maximale Unterstützung unserer Aktionäre angewiesen. Aber wichtig ist in diesem Zusammenarbeit dieses Duo aus Themen; kurzfristig Kosten sparen, also das Werk weitgehend geschlossen halten, denn jeder Tag, an dem wir nicht arbeiten, sparen wir Geld, und wenn es nur der Strom ist, den wir nicht einschalten müssen. Mittelfristig haben wir Massnahmen wie etwa das Monocoque von 2020 auch 2021 zu behalten. Wir verhandeln noch darüber, welche weiteren Teile des Wagens sozusagen eingefroren werden. Längerfristig muss ein vernünftiger Kostendeckel kommen.»

McLaren war der erste GP-Rennstall, der einen Teil der Belegschaft beurlaubt hat. Wie zuverlässig funktioniert die Umsetzung des britischen «Coronavirus Job Retention Scheme»? Andreas Seidl: «Inzwischen haben alle britischen Teams diesen Plan umgesetzt. Die britische Regierung hatte dieses Hilfsprogramm im März an den Start gebracht. So weit ich das beurteilen kann, funktioniert das Programm reibungslos.»

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