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Lewis Hamilton kommt in die Wechseljahre

Von Peter Hesseler
Hamilton findet sein Lachen wieder

Hamilton findet sein Lachen wieder

Weltmeister-Serie Teil 5 – Der Champion von 2008 geht sportlich auf Konsolidierungskurs und trennt sich von McLaren.

Lewis Hamilton kann wieder lachen. Er hat eine neue Zukunft, eine Perspektive, Hoffnung – und ein neues Leben. Das alte kann er beiseite legen. Es dauerte von 1998 bis Mitte Dezember 2012. Man könnte es die Kindheit, Jugend, Ausbildung, Gesellenzeit und einige Meisterjahre nennen. Seine Familie nannte sich McLaren.

Doch er wurde von Jahr zu Jahr unglücklicher in dieser Familie, immer unglücklicher mit seiner Rolle darin. «Er kam mir vor wie ein Vogel in einem Käfig, der immer enger wird», sagt der britische Weltmeister von 1996, Damon Hill, über den britischen Weltmeister von 2008, Lewis Hamilton.

Jetzt fliegt der Vogel – nach mehr als 14 Jahren Zugehörigkeit zum elitären McLaren-Club – raus aus seinem Nest. Und in die Freiheit. Mercedes, mit dessen Motoren der jetzt 27-Jährige im Laufe seiner F1-Karriere bereits 21 Siege eingefahren hat, ist nun auch als Team seine neue Heimat. Hamilton tritt in riesige Fussstapfen. Er wird Nachfolger von Michael Schumacher. Aber mit dem Selbstvertrauen, das einzig aus seiner Begabung und seinen Fähigkeiten her rührt, ist dem als «ersten schwarzen F1-Champion» geführten Engländer nicht bange vor dieser Aufgabe.

Hamilton ist der einzige Fahrer aus dem Vorderfeld, der diesen Winter das Team und damit die Farbe wechselt. Der einzige, der sich auf diese Art und Weise einen neuen Motivationsschub sichern kann. Und sichern wird. Dabei machte der noch 2011 vielfach kritisierte Lenkrad-Virtuose  2012 fahrerisch zu keiner Sekunde den Eindruck, als hätte er einen Tapetenwechsel nötig.

Hamilton spricht zwar jetzt schon von einer möglichen Rückkehr zu McLaren – eines fernen Tages. Denn es ist nun einmal seine sportliche und berufliche Heimat. Aber man sollte dem nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Hamilton ist ein emotionaler Typ, da sind Tränen zum Abschied – nach 14 Jahren – programmiert . Seine Motive für die Zukunft sind dennoch echt.

«Ich könnte es mir einfach machen und in dem Team bleiben, in dem ich 2013 vermutlich wieder ein siegfähiges Auto hingestellt bekomme. Aber ich will nicht den einfachen Weg gehen und so weiter machen wie bisher, sondern ich will, dass es schwierig wird», sagt er über die Aufgabe, die vor ihm liegt. Er möchte Ähnliches leisten wie Michael Schumacher, als der sich 1995 mit zwei Titeln in der Tasche von Benetton aus zum darbenden Ferrari-Team aufmachte. Sein Nachfolger will in die Historie eingehen. Und er will sich selbst prüfen.

Die Gelegenheit dazu hat er. Mercedes wurde nur WM-Fünfter und hatte am Jahresende sogar alle Mühe, sich mit Teams vom Format Toro Rossos zu messen. Das schreckt Hamilton aber nicht im Mindesten. Er hat die Gewissheit, dass es nicht an ihm liegen wird, wenn der Aufschwung, der mit ihm eingeleitet werden soll, sich nicht aus dem Stand heraus einstellt. Dann wird es im Auge des Betrachters an dem Team liegen, das seit drei Jahren nicht recht vom Fleck kommt. Und nicht an Hamilton.

An Lewis’ Beitrag wird es kaum mangeln, wenn man die aktuelle Form hochrechnet. Er qualifiziert sich 2012 ein Dutzend Mal für die erste Startreihe, öfter als jeder andere Fahrer. Er gewinnt vier GP. Er hat acht Siege auf dem Fuss. Aber er kämpft in deutlich höherem Masse mit Rückversetzungen, schlechten Boxenstopps, Plattfüssen und Defekten als jeder andere Fahrer aus der Spitzengruppe. Und er verschenkte fahrerisch womöglich weniger als die beiden vor ihm platzierten Sebastian Vettel und Fernando Alonso.

Als die Saison losgeht, steht Lewis unter Druck. Button hat ihm teamintern den Rang abgelaufen. «Das will ich ändern», sagt er. Und fängt sofort damit an. Sieben Mal geht er 2012 aus der Pole-Position ins Rennen, auch beim ersten, in Melbourne. Doch da hat er für das Rennen mit der Abstimmung noch leicht verwachst. Button, schon 2011 stärker, behält die Oberhand. Aber wer jetzt denkt, Hamilton lasse sich davon beeindrucken, liegt falsch. In Sepang steht er wieder mit einer Traumrunde auf Pole. Aber er wird (im Regen, nach zu spätem Boxenstopp) Dritter, genau wie zuvor in Melbourne und danach in Shanghai (vom siebten Startplatz aus), wo seine Reifen zu schnell abbauen. Drei Rennen, drei Podeste. Und «Autosport» stellt fest: «Dieser Hamilton kann wieder um den Titel kämpfen.» Das Blatt liegt richtig.

McLaren als Team aber immer öfter daneben. Nachdem bei Button schon Boxenstopps versaut worden sind, greift derselbe Mechaniker (links hinten) in Sakhir (Bahrain) wieder in die Grütze. Hamilton verliert 15 Sekunden. So schafft man es nicht aufs Treppchen. In Barcelona haut Hamilton schon die dritte Pole-Runde dieser Saison heraus, rollt aber danach mangels Benzin aus. Auch der Umstand, dass seine Vertragsgespräche mit McLaren in die Sackgasse gelaufen sind, bremst ihn aber nicht weiter: Hamilton muss vom 24. Platz aus starten und landet am Ende als Achter vor Button, der 14 Plätze weiter vorne ins Rennen ging. Und dies mit nur zwei Boxenstopps, wo die lieben Kollegen fast ausnahmslos drei benötigen. Nicht übel für einen sogenannten Reifenkiller.

Hamilton demonstriert: Komme, was wolle, ich lasse mich nicht aufhalten.

Der Mann, der teamintern die Verhältnisse wieder gerade rückt, auch weil Button die Pirelli-Reifen mit jedem GP-Wochenende weniger versteht, wie er einräumt, zieht Zwischenbilanz: «Einige Dinge in meinem Leben mussten neu geordnet werden.» – Zu diesem Zweck hat er sich ein Management gesichert, das schon die Spice Girls und David Beckham, Annie Lennox und Lisa Marie Presley betreut. Er hat sich damit entgegen aller Ratschläge auf eine Art «Hollywood-Schaukel» begeben und das Vorurteil genährt, er strebe nach den Sternen, anstatt auf dem Boden zu bleiben. Also dort, wo auf Bahn die Ideallinie zu finden ist. Und die Ziellinie.

Er hat also exakt das Gegenteil dessen inszeniert, was alle Welt ihm empfohlen hatte, nachdem er 2011 ohne Management neben die Spur geraten war. Und befindet sich trotzdem auf dem richtigen Weg. In Monaco fährt er beinahe das Maximum heraus, Platz 5. Was durchwachsen klingt, hätte besser sein können. Sein Team informiert Hamilton nach dessen Ansicht nicht ausreichend über die Gefahr, die von Vettel und Alonso ausgeht. Und prompt verliert er beim Boxenstopp Plätze. Es wird nicht das einzige Mal bleiben, dass er sich über seine Strategen beklagt…

Aber dann naht die alljährliche Reise nach Nord-Amerika. «Hier gefällt es mir», sagt Lewis, «die Autos sind gross und die Strassen breit. Irgendwie liegt mir die Luft und die Art des Lebens.» «Yo, Bro’», möchte man ihm zurufen, als er in Montreal wieder in Reihe 1 vorstösst. Beste Voraussetzungen also für Hamiltons ersten Saisonsieg.

Ob der Kanada-Spezialist es schafft und wie seine Saison weiterläuft, erfahren Sie morgen, 28. Dezember, im sechsten Teil unserer Weltmeister-Serie.

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