Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Michael Schumacher: Tempo gut, Timing schwach

Von Peter Hesseler
Ab Singapur nahte Schumis Abschied

Ab Singapur nahte Schumis Abschied

Weltmeister-Serie Teil 10: Wie Michael Schumacher als Fahrer und als Typ immer besser wurde – und dann aussortiert.

Unser Schumi.

Am Ende zeigte der siebenmalige Weltmeister Anzeichen von Altersmilde. Nach 307 Grands Prix.«Ich bin als Mensch offener und lockerer geworden», sagte er zum Abschied. Das sei doch auch eine Errungenschaft.

Allerdings. Und eine Leistung, die seine sportliche Rückkehr-Bilanz aus den Jahren 2010 bis 2012 überstrahlt?

Schwer zu sagen anhand eines Podestplatzes und einer Pole-position, mit der er quasi zum Ausklang seiner (mit Unterbrechungen) fast 22-jährigen Formel-1-Karriere nochmals klar stellte, dass er weiss, wo der Hammer hängt. Auch heute noch.

«Sein Tempo ist ungebrochen», mussten die Kollegen im dritten und letzten Jahr seiner zweiten Schaffensperiode anerkennen. Und Nico Rosberg hatte plötzlich öfter das Nachsehen gegen den 17 Jahre älteren Teamkollegen, als ihm lieb sein konnte.

Die beiden Antipoden fuhren im dritten gemeinsamen Mercedes-Jahr auf Augenhöhe, was normalerweise eine klassische Konstellation für Zoff ergeben würde, doch dafür war der Mercedes zu schlecht. Das Auto hatte auch im dritten Jahr des Teambestehens Geburtsfehler, die nur mit einem Neubau zu beheben gewesen wären.

Der Kardinalfehler: Die Reifen heizten sich am GPW03 unterschiedlich auf. Aber nicht nur links, rechts, vorne und hinten. Auch in sich selbst. Manchmal blieben innere Auflageflächen zu kalt, während äussere überhitzten. Und umgekehrt. Manchmal wurden auch die oberen Schichten eines Reifens zu heiss, während die unteren zu wenig in Bewegung gerieten. Und auch das, wieder umgekehrt. Es war kein Kopf an dieses Puzzle zu bringen. Nicht mit diesem Auto., obwohl Mercedes mehr Spitzenpersonal für die Technik rekrutiert hatte als jedes andere Team: nach Bob Bell von Renault kamen Geoff Willis von HRT und Aldo Costa von Ferrari. Jeder einzelne von ihnen gut genug, um den gesamten Technikstab eines Spitzenteams zu führen. Aber sie alle gemeinsam garantierten kein wettbewerbsfähiges Rennauto. Und auch nicht die Weiterentwicklung des mässig geratenen GPW03 in die Oberränge.

Rosberg hatte das anders angekündigt. «Ich sehe schon, wie sich alles in die richtige Richtung bewegt», sagte er im November 2011. «Ich glaube an dieses Team.»

In Brasilien räumte er nun ein: «Ich habe falsch gelegen.»

Weil Nico aber ein Gläubiger ist, verlängerte er schon vor 2012 seinen Vertrag und sorgte damit für Ruhe, zumindest in seinem Umfeld.Schumi wollte sich erst im Frühjahr entscheiden…und wartete dann so lange, bis Lewis Hamilton vor ihm zugriff.

Zu Saisonbehinn zickte und bockte der Benz wie ein Esel. Besonders die unterschiedlichen Wetterbedingungen an den ersten GP-Wochenenden erschwerten die Berechnung der Abstimmung. In China traf die Formel 1 erstmals durchgehend von Freitag bis Sonntag ähnliche Bedingungen an: Und dort gewann Rosberg. Wir werden leider nie erfahren, ob Schumi, er von Platz 2 aus startete, Ähnliches vollbracht hätte. Aber blieb mit Defekt liegen. Es sah aber, solange er fuhr, nicht danach aus.

Im Duell der Fahrer änderte sich Bild trotzdem. Hatten sich die Verhältnisse zuvor stets günstiger für Schumacher fügen müssen, damit er mit Rosberg mithalten konnte, so schwankten nun beide Fahrer konstant auf überwiegend mittelmässigem Niveau.

Schumi begann stark, dann legte Rosberg eine feine Serie hin, indem er zwischen Mitte April du Ende Juni auf Alonso-Niveau fuhr. Dann riss angesichts der besseren Weiterentwicklung bei den Gegnern sowohl bei Rosberg wie bei Schumi der Faden brutal ab. Es ging nur noch um Schadensbegrenzung. Sogar ein halbes neues Auto, für September (Singapur) auf Kiel gelegt, änderte nicht das geringste am Dilemma der Silberpfeile.

So gesehen waren es harte Bedingungen, denen sich Schumacher sich über drei Jahre stellten musste. Rosberg natürlich auch, aber Nico hatte stets die Zukunft noch vor sich. Und kann dies immer noch für sich so sehen.

Schumi jedoch gestand: «Mir geht die Zeit aus.» Er meinte: die Jahre…Und kämpfte trotzdem weiter, wenn auch bisweilen mit Galgenhumor.

Es spricht für den Kerpener, dass er im dritten gemeinsamen Mercedes-Jahr eine passable Bilanz gegen Rosberg sicherstellen konnte. Mit 10:10 nach Qualifikationen verabschiedete er sich Ende November aus dem F1-Geschäft. Das konnte sich sehen lassen. Der Punkte-Vergleich spielt dieses Jahr keine Rolle, dafür hatte Schumi zu viele Defekte. Ja, auch das noch…

Er hat bravourös gekämpft. Es werden einige Highlights hängen bleiben. Sein Duell mit Rosberg in Spa 2010, bei denen sich beide mehrfach mit den Reifen berührten. Sein Abdrängen Barrichellos in Ungarn 2010, wofür er bestraft wurde. Und nach dem er sich per SMS beim Brasilianer entschuldigte. Es bleiben auch eine Reihe von merkwürdig aussehenden Kollisionen, verpatzten Bremspunkten und Auffahrunfällen, die weder wir uns noch seine Kollegen sich erklären konnten.  Manchmal sah es aus, als seien Schumi vorübergehend die Automatismen abhanden gekommen. Und manchmal schien ihm einfach alles zu schnell zu gehen.

Dass er in Budapest 2012 seinen Startplatz nicht korrekt einnahm, wird ihn wohl auf ewig verfolgen. Und mehr als einmal musste seine Managerin Sabine Kehm gerade stellen, dass seine Sehkraft ungebrochen sei.

Die Begründungen waren nicht immer plausibel, die der Weltstar uns auftischte. Aber Schwamm drüber: Er hat sich eher bemüht, Klartext zu reden, als damals. Von 1991 bis 2006.

Aber wie sollte er in Budapest erklären, dass er die Regeln nicht kannte, nachdem er in der Startaufstellung den Motor abgestellt hatte und aus der Boxengasse losgefahren war.

Es bleiben aber auch einige echte Schumi-Momente, sensationelle Fahrten auf feuchter Piste: besonders in Montreal 2010, wo er zeitweise an Position 2 lag. Auch herausragende Leistungen  im Trockenen, wie seine Pole-position von Monaco 2012, auch wenn sie ihm anschliessend wegen eines Fouls im vorangegangenen Rennen weggenommen wurde. Schumacher war im Sprintduell des Fürtentums der schnellste Mann der Welt – mit 43 Jahren – vor wenigen Monaten erst. Ohne Wenn und Aber.

Und kurze Zeit später lenkte er den Silberpfeil zu seinem einzigen Podestplatz der zweiten Karriere, in Valencia.

Der alte Fuchs hatte die Zähne gespitzt und sein Auto konsequent auf Nässe getrimmt, als sich in Brasilien zum grossen Kehraus nochmals Intermediate-Wetter ankündigte, also Schumi-Wetter. Er hatte nichts mehr zu verlieren, gar nichts. Doch selbst zum Abschied schwamm ihm das Glück früherer Tage nicht mehr hinterher. Er musste kämpfen, um sich als Siebter zu verabschieden. Und es schien, als hätte er noch 50 Rennen fahren können, ohne zu gewinnen.

Schumi selbst freute sich, dass er gezeigt hatte, «dass ich mit über 40 vom Tempo her noch mit der neuen Generation  mithalten konnte. Darauf kann ich stolz sein.» Das sagt er mit Fug und Recht.

Tempo ist aber nur die eine Sache, Timing eine andere. Und sein Timing für den Abschied war wieder einmal desaströs. Wie schon 2006 so wartete der Altmeister im Irrglauben, seine Geschicke selbst zu lenken, zu lange mit einer eigenen Rücktrittsentscheidung. Damals wurde sie ihm von Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo abgenommen, der ungerührt den finnischen Hoffnungsträger Kimi Räikkönen verpflichtete.

Dieses Mal wollte sich Schumi im Frühjahr entscheiden. Dann schob er diesen Termin weiter und weiter hinaus, bis er sagte, dass er im Oktober bekanntgeben würde, ob er in der Formel 1 weiter fährt. Gleichzeitig bekam er nicht mit, dass der neue Mercedes-Berater Niki Lauda schon Lewis Hamilton an der Angel hatte. Und ihn knallhart verpflichtete. Man sah Schumi an, wie getroffen er war. Er hatte seine Position überschätzt. Und verkündete zwei Wochen später seinen endgültigen Rücktritt.

In den unteren Regionen um ein Cockpit betteln, das wollte er nicht. Er wollte sich nicht mit würdelosen Vorstellungen verabschieden.

Warum das Timing schlecht war? – Nicht nur, weil er wartete, bis man ihm Hamilton vor die Nase setzte. Nein, auch weil Mercedes, wie Schumi jetzt sagt, von den Kapazitäten her ab 2013 erst in der Lage ist, vorne mitzufahren. Unter diesem Aspekt wäre es doch wünschenswert gewesen, dabei zu sein. Besonders für Schumi selbst.

Er sagte aber: «Meine Batterien sind leer.» Und fuhr, so völlig entladen, seine besten Rennen.

Nun  ist sein Terminkalender ist schon wieder voll. Schumi wird ein Wettbewerbs-Tier bleiben. Aber wie er diesen Drang befriedigt, «das ist eine gute Frage.» Eine nochmalige Rückkehr in den GP-Sport schliesst er aus. «Dieses mal ist der Abschied endgültig.»

Es wäre schade, wenn er es ernst meint, denn sein Unterhaltungsfaktor war immer (noch) immens. Aber es ist zu befürchten, dass er als Fahrer jetzt fehlen wird. Für immer.

«Michael war ein sehr, sehr guter Teamkollege», stellte Nico Rosberg am Ende klar. Wer hätte das gedacht?

Und morgen, 2. Januar, lesen Sie Weltmeister-Serie Teil 11, Jenson Button.

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