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Die MotoGP-WM 2020 auf der Suche nach ihrem Leader

Kolumne von Michael Scott
Joan Mir führt die MotoGP-WM an, allerdings ohne Sieg

Joan Mir führt die MotoGP-WM an, allerdings ohne Sieg

Die MotoGP-Saison 2020 ist aus einer ganzen Reihe von Gründen ungewöhnlich, nicht nur weil Marc Márquez fehlt. Aber sollte das den neuen Weltmeister und vor allem die Fans wirklich stören?

Es war der stets direkte und kontroverse Casey Stoner, der die Idee zu dieser Bezeichnung hatte: Die MotoGP-Serie 2020 – also nicht wirklich eine Weltmeisterschaft.

Man kann ihm nicht unbedingt widersprechen.

Erstens, weil die Serie nicht die ganze Welt umspannt. Alle 14 (statt der ursprünglich 20 geplanten GP) werden in Europa abgehalten. Ja, der Saisonauftakt ging in Katar über die Bühne, aber nur für die kleineren Klassen. Acht der 14 Grand Prix finden zudem auf der Iberischen Halbinsel statt: Ein Event in Portugal, der Rest in Spanien.

Zweitens, weil der Mann nicht dabei ist. Solange Marc Márquez im Einsatz war, lautete die ewige Frage: Wer wird Zweiter? Aber Marc hat sich verletzungsbedingt abgemeldet und es deutet auch immer mehr darauf hin, dass sich das bis zum Ende der Saison nicht mehr ändern wird. Und es ist einfach nicht dasselbe, ohne ihn.

Dasselbe gilt wegen der vielen Corona-bedingten Absagen für alle Weltmeisterschaften. Sie sind ganz offensichtlich zusammengeschrumpft, unabhängig davon, ob der Titelverteidiger jetzt am Start steht oder nicht. Übrigens: Weil auch Valentino Rossi zuletzt zwei Grand Prix auslassen musste, stand in Aragón kein einziger MotoGP-Weltmeister mehr in der Startaufstellung.

Macht das den Gewinner weniger zum Champion?

Das ist keine Ansicht, die ich gegenüber Cameron Beaubier vertreten würde, nachdem er die US-Superbike-Meisterschaft regelrecht dominiert hat. Oder Josh Brookes, der seine zweite BSB-Krone wohl kaum als weniger wertvoll ansehen wird, nur weil die Saison kürzer ausfiel. Oder Superbike-Rekordweltmeister Jonathan Rea.

Versuchen Sie mal, das zu Moto2-WM-Leader Sam Lowes zu sagen, der in den jüngsten drei Rennen wirklich zu weltmeisterlicher Form gefunden hat, selbst wenn er die nur auf europäischen Rennstrecken zur Schau stellen kann.

Auch der neue MotoGP-Champion würde eine Untergrabung der Krone nur ungern sehen – wer auch immer es am Ende wird. Im Moment machen sich den Titel WM-Leader Joan Mir, der Dreifach-Sieger Fabio Quartararo, der zweifache Gewinner Franco Morbidelli und der einmalige Saisonsieger Maverick Viñales aus – wenn auch nicht zwangsweise in dieser Reihenfolge.

Interessanterweise führt ausgerechnet Mir die WM-Tabelle an, obwohl er noch kein einziges MotoGP-Rennen für sich entschieden hat. Bleibt das so, wäre er der zweite Fahrer in der 75-jährigen Geschichte der Motorrad-WM, der den Titel ohne einen Sieg in der Saison holt. Vorgemacht hat es 1999 der 125er-Weltmeister Emilio Alzamora, der heute hinter den Kulissen für die Márquez-Brüder und andere spanische Rennpferde die Strippen zieht.

Diese Tatsache untermauert einen wesentlichen Punkt: Ein Champion muss nur die schlagen, die dabei sind. Andersrum gesagt: «You have to be in it to win it.»

Er muss die Serie auch nur in der Form gewinnen, wie sie eben stattfindet.

Trotzdem: Die Abwesenheit von Marc Márquez hat einen merkwürdigen Schatten auf die MotoGP geworfen. Wie ein Orchester ohne Dirigenten, das nur aus der Erinnerung weiterspielt.

Das Ergebnis war eine völlig unvorhersehbare Serie von acht unterschiedlichen Siegern in elf Rennen. Rookies und Satelliten-Fahrer stehen auf dem Treppchen und der Titelkampf ist so spannend, dass man ständig an den Fingernägeln kauen könnte.

Es ist ziemlich sicher, dass es nicht so gekommen wäre, hätte Marc sich nicht im ersten Rennen ins Aus befördert. In den vergangenen Jahren brachte sein Speed die anderen ins Schwitzen. Sie hatten gar nicht erst Wahl, ihre eigenen Strategien auszuarbeiten, das Rennen wurde den Fahrern diktiert. Alles, was ihnen übrig blieb, war zu kämpfen, um irgendwie mitzukommen.

Dieses gnadenlose Skript ließ nur wenig Raum für Überraschungen. Ganz im Gegensatz zu dem, was passiert, wenn ein echter Leader fehlt und plötzlich alles offen scheint.

Und um noch ein Klischee von mindestens einem TV-Kommentator zu bemühen: «Alles kann passieren… und für gewöhnlich tut es das auch.»

Was sicher ein Pluspunkt ist, sind die unglaublich engen Abstände. Die Top-10 trennten beim ersten Aragón-GP zum Beispiel nur 9,6 Sekunden. Nur einmal war es in der Geschichte der «premier class» noch knapper.

Besonders unerwartete Ergebnisse brachten die Doppel-Events mit sich: Auch wenn das Feeling im Paddock ein bisschen an «Und täglich grüßt das Murmeltier» erinnern mag, waren die Ranglisten bisher alles andere als repetitiv. Jeder wurde schneller als am ersten Wochenende, und das in keiner speziellen Reihenfolge.

Keiner hätte vorhersagen können, wie sich Fahrer in die Favoritenrolle geschoben haben, nur um danach wieder abzutauchen.

Der einzig verlässliche Faktor der Saison ist, dass sich alles irgendwann umkehrt. So war Dovizioso in den vergangenen drei Jahren das Gegengewicht zur Márquez-Übermacht. Jetzt verpasst der Noch-Ducati-Werksfahrer plötzlich regelmäßig das Q2. Und als weiterer Beleg dieser Formel der Unberechenbarkeit sollte auch noch erwähnt werden, dass er ein Rennen trotzdem gewonnen hat.

Welche Art von Rennfahrern ist besser? Ist Perfektion mehr wert als die Spannung? Ich genieße beides, aber vielleicht tendiere ich mehr zu Ersteren.

Unabhängig davon verdienen sich aber alle Weltmeister unseren Respekt.

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