Zarco-Mania: Regen in Le Mans, Sonne im Herzen
Kein Hollywood-Regisseur hätte es genialer inszenieren können: Während des medialen Warm-ups am Donnerstag vor dem Großen Preis von Frankreich hatte Honda-Fahrer Johann Zarco durchaus selbstbewusst eine Ansage in die Aufnahmegeräte diktiert: «Die Unterstützung der Fans ist magisch. Und ich wünsche mir, dass wir in der Lage sein werden, den Menschen in Le Mans ein Geschenk zu machen. Sie haben es verdient – letztes Jahr lief es sportlich nicht gut und doch standen sie voll hinter mir. Vielleicht können wir ihnen etwas zurückgeben.»
Auch wenn sich Motorsport-Berichterstatter nicht auf metaphysische Phänomene verlassen, sondern Ergebnislisten als Grundlage nutzen, fällt es schwer, den Ereignissen in Le Mans am Sonntag zwischen 13.30 und 15 Uhr nicht eine gewisse Übersinnlichkeit zuzuordnen.
Nach einem realistischen, harten Qualifying und verpasstem Q2 holte Zarco im Sprint als Sechster alles aus dem Paket der RC213V. Unter normalen, sprich trockenen Streckenbedingungen, kann der Franzose in den Rennen an den Top-5 kratzen und, wie in Argentinien gezeigt, mit einer Chaosrunde in die erste Startreihe vordringen. Das Paket Zarco/Honda ist konkurrenzfähig, aber nicht siegfähig. So viel ist klar.
Anders schaut es aus, wenn die Gewalt der Natur sichtbar wird. Es schien, als ob der Wettergott verlässliche Informationen über den Leistungsstand des Altmeisters aus Cannes eingeholt hatte. Dass der Motorsport-Gott als Gegenspieler beschloss, den jungen Landsmann Fabio Quartararo aus dem Grand Prix der Franzosen zu entfernen – Schwamm drüber. «El Diablo» hat schließlich noch einige Jahre mehr vor sich als MotoGP-Senior Zarco.
Und so ergriff der Chef des Wetterstudios, der auch ein Fan unseres fulminanten Sports sein muss, kurz vor 14 Uhr den Regiehebel. Mit gekonnt feiner Steuerung verteilte er die richtige Menge Nass über dem Circuit Bugatti. Mal mehr, mal weniger – schließlich sollten weder die Fans komplett durchnässt werden noch sollten die Piloten auf der Rennbahn absaufen.
Und so kam das Geschenk, nicht nur für Johann Zarco, dessen überwältigte Eltern und die LCR-Einheit von Lucio Cecchinello reich beschenkt wurden, sondern auch für 120.000 Menschen in Le Mans plus Millionen fassungslose MotoGP-Fetischisten vor den Bildschirmen und TV-Geräten. Über die auf Tradition gebaute Rennstrecke ergoss sich die maximale vorstellbare Dosis Emotion. Die Minuten vor und die Stunden nach der Zieldurchfahrt der #5 werden als einmaliges Ereignis in die Geschichte des Sports und Frankreichs eingehen.
Als der Red-Bull-Athlet im vollen Flennmodus auf die Zielgerade marschierte, um vor der in Rage feiernden Haupttribüne den Zarco-Backflip einzuleiten, war es endgültig vorbei. Worte hatte in diesem Augenblick kaum einer – außer der Stimme der MotoGP. Kommentator Matthew Birt in voller Dröhnung: «Zarco takes the front cover – and the back cover – and he takes everything else!» Gut gesagt! Die englische Sprache brachte wunderbar zum Ausdruck, was abging.
Momente, die alles und jeden zu 100 Prozent einnahmen. Eine Melange aus Freude und Leidenschaft, aber auch eine Erinnerung an die Schmerzen des Sports MotoGP, der mit reinem Verstand nicht zu erklären ist.
Während Johann in die offizielle Abschlusspressekonferenz geschleust wurde, blieb ein Großteil der Fans auf der Haupttribüne sitzen. Im überfüllten Presseraum waren die Berichterstatter über die Lautstärke der Zarco-Chöre weiter Teil des Fests. Auf den Bildschirmen lief noch einmal die Zielankunft. Als Johann Zarco sah, welcher Begeisterungscocktail durch die Venen seiner Eltern schoss, kommentierte der Sieger des Heim-GP: «Ich hatte meiner Mutter, die seit 17 Jahren nicht mehr bei einem Rennen war, gesagt, es würde mich freuen, wenn sie erlebt, wie sich das Ganze entwickelt hat. Jetzt kann sie fühlen, was dieser Sport bedeutet.»
Als die Presse mit den Statements des Hauptdarstellers versorgt war, kehrte «JZ5» zu seiner Mannschaft zurück. Die Boxentore wurden geöffnet und die Party ging weiter – mit den Menschen auf der Tribüne, die noch eine Stunde nach der Zielflagge nicht fassen konnten, was abgegangen ist.
Zarco, immer noch im Leder, lief erneut vor die Menge und schmiss seine Stiefel über den Zaun – et voilà und vive la France! Und der Sportreporter? Der richtete seinen Blick, nachdem Zarco wieder von der Menge in der LCR-Box verschluckt war, auf den offiziellen Ergebniszettel – und wurde geblendet von einem Sonnenstrahl, der in diesem Moment den Monitor traf.