Mercedes-Motor: Alles eine Frage der Einstellung
Lewis Hamilton in Australien
Mehr als eine Million Arbeitsstunden flossen in das Design, die Entwicklung und die Konstruktion des 2018er Silberpfeils. Während einige der Ergebnisse dieser Ingenieursarbeit auch mit einem ungeübten Auge leicht zu erkennen sind, zum Beispiel die komplexen Aerodynamikteile, sind andere wichtige Bereiche weniger offensichtlich.
Eines der wichtigsten Elemente unter der Haube ist das Triebwerk, heutzutage Power Unit genannt (kurz: PU). In der modernen 1,6-Liter-V6-Turbo-Ära ist sie mehr als nur ein Motor. Die Power Unit besteht aus sechs verschiedenen Elementen: dem Verbrennungsmotor (ICE, internal combustion engine), dem Turbolader, der MGU-K (der Energie beim Bremsen sammelt), der MGU-H (der am Lader Energie abzapft), der Kontrollelektronik und dem Energiespeicher, will heissen Batterie.
Diese Elemente bieten zusammen verschiedene Power Unit-Modi, die von den Fahrern und Teams im Verlauf eines Rennwochenendes eingesetzt werden können. Im Laufe des Auftaktwochenendes beim Grossen Preis von Australien 2018 erwiesen sich diese als heisses Gesprächsthema, das für jede Menge Diskussionsstoff sorgte. Aber was genau sind diese Power Unit-Modi und wozu sind sie gut?
PU-Modi sind eine Kombination aus Einstellungen, mit denen die Leistungsfähigkeit des Motors sowie der Fluss der elektrischen Energie angepasst werden können. Die Performance des Verbrennungsmotors lässt sich zum Beispiel durch die Menge an Benzin, das in die Brennkammer eingespritzt wird oder das Timing der Zündung verändern. Auf der Hybridseite der Power Unit verändern die Modi die Wechselwirkung und den Zeitpunkt für die Abgabe (maximal 120 kW via MGU-K) und die Rückgewinnung (sowohl der MGU-K als auch der MGU-H) der elektrischen Energie.
Die Hauptaufgabe der PU-Modi ist es, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit auszubalancieren. In der Formel 1 dreht sich alles um Leistung, da es aber in der Saison 2018 pro Fahrer nur drei Power Units (und von einigen Komponenten sogar nur zwei) gibt, spielt die Zuverlässigkeit eine immer wichtigere Rolle. Aus diesem Grund stehen den Fahrern die höheren Power-Modi für eine geringere Anzahl an Kilometern zur Verfügung.
Mercedes setzt im Verlauf eines Wochenendes drei Basis-Modi ein: einen für den Grossteil der freien Trainings, einen für den Grossteil des Qualifyings und einen für den Grossteil des Rennens.
Alle drei können durch unterschiedliche Feineinstellungen an verschiedene Situationen angepasst werden. Diese bestimmen, ob die elektrische Energie über eine Runde abgegeben, gesammelt oder ausgeglichen eingesetzt werden soll (bei Letzterem gleichen sich die Energieabgabe und die Rückgewinnung gegenseitig aus).
Mehr Power beim Start
Am Start des Rennens ist die Performance beispielsweise besonders wichtig. Also wird sich der Fahrer in diesem Fall für die volle Abgabe der Energie entscheiden, entweder, um seine gute Startposition zu verteidigen oder um zu versuchen, auf der Startrunde Plätze gutzumachen. Aber in der Formel 1 geht es um eine Mischung aus mutigen Überholmanövern auf der Strecke und taktischen Strategieentscheidungen. Deshalb wechseln die Fahrer später in einen Managementmodus zum Sammeln der Energie und Aufladen der Batterie. So können sie sicherstellen, dass ihnen für ihren nächsten Angriff mehr Energie zur Verfügung steht.
Sowohl Lewis Hamilton als auch Valtteri Bottas wechselten während des Australien-GP in einen Rennmodus mit geringerer Performance, als sie im Verkehr feststeckten und in den Luftturbulenzen der Autos vor ihnen fuhren. So konnten sie ihre Motoren kühlen und eine Überhitzung verhindern. Eine ähnliche Herausforderung stellt eine Safety Car-Phase dar. Darin versuchen die Fahrer, Energie zu konservieren und die Power Unit zu schonen. Aus diesem Grund wird der Motor-Modus so eingestellt, dass er die Belastung reduziert und die Komponenten kühlt.
Auch im freien Training ist es wichtig, Schäden zu vermeiden und die Zuverlässigkeit der Power Unit auszudehnen. Schliesslich macht es keinen Sinn, die Motoren im Training bis ans Limit zu belasten, da sie sieben Rennwochenenden halten müssen. Es gibt jedoch ein Training, in dem die Power Unit bis an ihre absoluten Grenzen getrieben wird und in der die Fahrer alles ausreizen: das Qualifying.
Der Party-Modus
Für das Qualifying wird der leistungsstärkste Motor-Modus ausgewählt. Dieser Modus wird an jedem Rennwochenende nur für ein paar Runden eingesetzt und das auch nur abhängig davon, wie die Konkurrenzsituation aussieht, manchmal wird dieser Qualifying-Modus während der gesamten Qualifikation eingesetzt, manchmal nur im Q3. Lewis Hamilton hat das salopp den Party-Modus getauft.
Die verfügbaren Kilometer werden durch ein Dokument festgelegt, das die Limits für den Einsatz der Power Unit an jedem Rennwochenende bestimmt. Dieses ist sowohl für die beiden Werksautos als auch die Mercedes-Kundenteams identisch.
Die PU-Modi werden beim ersten Komponententest in Brixworth festgelegt und das Kilometerlimit wird durch das Ergebnis des Long-Run-Programms bestimmt. Einige davon sind streckenspezifisch, andere eher allgemeingültig. Die Entscheidung über die Verwendung eines Modus liegt entweder beim Fahrer oder erfolgt auf Ratschlag der Ingenieure, die mittels Funk mitteilen, welche Einstellung vorgenommen und welcher Modus ausgewählt werden sollte.
Wenn im Funk des Teams technisch klingende Anweisungen zu vernehmen sind, könnte es sich dabei sehr gut um das Verändern der Power Unit-Modi handeln. Die Fahrer ändern dann den Modus über die Regler an ihrem Lenkrad.
Die PU-Modi sind auf Power-Strecken wie Spa-Francorchamps oder Monza besonders wichtig, da es auf diesen lange Geraden und Beschleunigungszonen gibt. In der Formel-1-Saison 2018 steht die erste Power-Strecke am vierten Rennwochenende in Baku auf dem Programm.
Es wird interessant, zu sehen, wie sich das Thema Motor-Modi im Verlauf der Saison entwickelt, besonders dann, wenn die Formel 1 auf mehr dieser Power-Strecken antritt.