Formel 1: So geht es mit Sergio Perez weiter

Marc Surer zu Ferrari: «Vettel + Leclerc = Zündstoff»

Von Mathias Brunner
​Der frühere Formel-1-Fahrer Marc Surer analysiert exklusiv für SPEEDWEEK.com die Fahrerpaarungen der GP-Saison 2019. Der Basler weiss: «Bei Ferrari wittere ich mit Vettel gegen Leclerc viel Zündstoff.»

Alles verändert sich ständig in unserer oft verrückten Welt, und wenig befindet derart mit Volldampf im Wandel wie die Königsklasse. Stillstand bedeutet in der Formel 1 Rückschritt, also stürzen alle im bisweilen blindem Taumel nach vorne, nicht immer mit den erwünschten Ergebnissen. Bei aller Veränderung in der Formel 1 behalten gewisse Faustregeln ihre Gültigkeit. So etwa bleibt der eigene Stallgefährte immer die Messlatte, egal ob ein Pilot in einem Top-Auto sitzt oder im Williams. Wir wollten vom Schweizer Marc Surer wissen, wie er die Stallduelle 2019 einschätzt.

Marc, lass uns mit einem brisanten Duo beginnen, denn Ferrari hat an die Seite von WM-Anwärter den hungrigen Charles Leclerc platziert. Wie schätzt du das ein?

Ich würde das aus heutiger Sicht als 50:50 einstufen. Ich traue Leclerc sehr viel zu, der ist frisch, der ist heiss. Auch wenn es seitens Ferrari bereits geheissen hat, man werde Vettel Priorität einräumen – wie wollen sie Leclerc einbremsen? Ich glaube auch nicht, dass sie das wirklich wollen. Wenn der so schnell ist wie alle glauben, dann ist das für Ferrari wunderbar. Dann haben sie zwei Sieganwärter. Leclerc ist ein Ausnahmetalent, das uns noch viel Freude machen wird. Ob Vettel ihn dank seiner Erfahrung im Griff hat? Abwarten!

Wird Leclerc die Ära Vettel bei Ferrari beenden?

So brutal würde ich das nicht fragen. Aber die werden auf Augenhöhe fahren.

Wir sehen bei Mercedes-Benz eine ganz andere Ausgangslage.

Das stimmt. Ich vermute, das geht so weiter wie bis anhin. Vielleicht liegt Bottas 2019 das Auto ein wenig besser als der letztjährige Mercedes. Dann wird der Finne im Windschatten sein. Nur wenn Lewis die Lust verliert, wird Bottas eine Chance haben. Im ersten Mercedes-Jahr war Bottas näher dran an Hamilton als 2018. Für mich lag das am Auto. Zudem müssen wir fairerweise sagen, dass Valtteri ein paar Mal Pech hatte oder von Mercedes zurückgepfiffen wurde.

Sitzt 2020 im zweiten Mercedes der Franzose Esteban Ocon?

Ja, daran glaube ich. Sonst hat sich das Nachwuchsprogramm von Mercedes erledigt. Sie müssen das machen. Du kannst ein solches Talent nicht zwei Jahre lang pausieren lassen.

Für die meisten Insider ist Max Verstappen gegen Pierre Gasly bei Red Bull Racing eine klare Sache.

Für mich auch. Aber vielleicht wird Gasly allgemein unterschätzt. Ich sage immer – ob einer Talent hat, das zeigt sich bei irgendeinem Rennen, vielleicht bei etwas verrückten Verhältnissen. Es gab 2018 ein paar Grands Prix, in welchen Gasly wirklich glänzen konnte, mit Rang 4 in Bahrain als Highlight. Da gibt es Potenzial. Jetzt muss er das regelmässig abrufen. Aber das wird nicht reichen gegen Max Verstappen, der Niederländer ist ein Jahrzehnte-Talent.

Wie wird Ricciardo gegen Hülkenberg bei Renault ausgehen?

Ich bin nicht der Ansicht, dass sich Hülkenberg vor Ricciardo verstecken muss. Ricciardo ist für mich ein «lucky driver», ein Begriff, den ich vom langjährigen Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone habe. Der Engländer glaubte immer: Es gibt einfach Fahrer, die das Glück gepachtet haben. So wie es Fahrer gibt, die überdurchschnittlich viel Pech haben. Wie auch immer – wenn Renault ein Rennen gewinnen sollte, durch pures Glück, dann wird das garantiert Daniel Ricciardo sein! Nico Hülkenberg wünsche ich, dass er endlich mal seinen ersten Podestplatz einfährt, das ist überfällig. Zudem kann Nico endlich ohne Nachteil fahren. Als grosser Fahrer war er jahrelang benachteiligt, heute haben wir ein festes Gewicht für Pilot und Sitz. Das müsste ihm helfen. Denn auch eine Zehntelsekunde kann im Mittelfeld schnell mal zwei Ränge wert sein.

Wenn Sergio Pérez bei Racing Point nicht die Oberhand gegen Lance Stroll behält, verstehe ich die Welt nicht mehr.

Ich auch nicht. Pérez wird die Entwicklung machen und ist der Mann für regelmässige Punktefahrten, er kennt den Rennstall durch und durch. Der Mexikaner ist erfahren, das kann Stroll nicht wettmachen. Aber: Lance hat gezeigt, dass er zwischendurch ein Ausrufezeichen setzen kann. Was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist: Das gab es Rennen, in welchen Stroll von, sagen wir Rang 19 losgefahren ist und aus der ersten Runde tauchte er auf dem zwölften Platz auf. Ich dachte dann jeweils: Wie hat er das nur gemacht? Es gab keinen Fahrer, der so oft so viele Ränge gewonnen hat. Ich möchte mal sehen, ob er diese Fähigkeit auch einbringen kann, wenn er von einem siebten, achten oder neunten Startplatz losbrausen kann.

Gegen Massa war Stroll nicht richtig einzustufen, weil der Brasilianer in seinem Formel-1-Herbst nur noch Dienst nach Vorschrift erledigt hat. Er wollte nur schneller als Stroll sein, das hat ihm gereicht. Gegen Sirotkin fuhr Stroll auf Augenhöhe, jedenfalls fiel der Moskauer nicht ab, obschon er Neuling war. Wie gut Stroll wirklich ist, werden wir jetzt gegen Pérez sehen.

Aber spielt das überhaupt eine Rolle? Seinen Papa gehört das Team, der hat seinen Platz ohnehin einbetoniert. Wird das für Pérez nicht hinderlich?

Das glaube ich aus zwei Gründen nicht. Erstens bringt Sergio Sponsoren zu Racing Point. Und zweitens ist er jener Fahrer, der regelmässig punkten soll. Sie brauchen einen Leader, Stroll kann das Team nicht führen.

Was fällt dir zu McLaren ein?

Es kann nur besser werden. Carlos Sainz ist jung, hat aber schon viel Erfahrung. Lando Norris muss mithalten können, weil er sonst den Ruf des Supertalents los ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass McLaren nochmals ein so schlechtes Auto baut wie 2018. Die müssten im Mittelfeld munter mitmischen können. Sainz ist für mich eine sichere Bank. Er ist kein Alonso, aber ein verlässlicher, konstanter, sehr guter Formel-1-Fahrer. Er ist ein prima Massstab für Norris, der mit viel Vorschusslorbeeren zu McLaren kommt. In der Formel 2 hat er mich nicht restlos von sich überzeugt, weil das kein Durchmarsch war wie zuvor in der Formel 3.

Bei Haas haben wir ein weitgehend ausgegliches Duell erlebt, zwischen Romain Grosjean und Kevin Magnussen.

Ja, aber letztlich auch nur, weil Grosjean diese mir völlig unerklärlichen Aussetzer gehabt hat. Wenn Romain regelmässiger fährt, hat er Magnussen im Griff. Der Genfer hatte regelrechte Blackouts, für einen Piloten seiner Erfahrung nicht akzeptabel. Er hatte sozusagen diesen Tunnelblick aus der Anfangszeit seiner GP-Karriere, und das meine ich jetzt nicht als Zeichen der absoluten Konzentration, sondern eher im Sinne von Vollstress und links und rechts nichts mehr wahrnehmen. Magnussen ist eine sehr gute Saison gefahren, also hatte er am Ende die Nase vorn.

Sollte Antonio Giovinazzi vor Kimi Räikkönen herumfahren, wäre das für mich eine Sensation.

Kimi kommt voll motiviert ins Team. Wenn es nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat und er vielleicht ein wenig die Zügel schleifen lassen will, dann ist es gut, hat Alfa Romeo-Sauber den Giovinazzi, denn der sitzt dem Finnen dann im Nacken. Kimi wird nicht die Schmach erleiden wollen, sich bezwingen zu lassen. Das finde ich eine gute Kombination, mit einem klaren Leader, aber einem zweiten Fahrer, der ihm auf den Fersen ist.

Wird die Erfahrung von Daniil Kvyat den Ausschlag geben im Zweikampf gegen Alex Albon?

Ja, das glaube ich schon. Albon hat in der Formel 2 einige sehr gute Rennen gezeigt, aber das ist keine Garantie für eine Formel-1-Karriere. Der Thai-Brite ist für mich ein Fragezeichen. Kvyat ist hier Tonangeber, der ist auch richtig hungrig, weil er genau weiss – das ist vielleicht seine letzte Chance im Grand-Prix-Sport.

Bei Robert Kubica gegen George Russell wird es einen grossen Verlierer geben.

Genau. Denn hier sieht es so aus: Hat Kubica die Nase vorne, dann fällt das Gerede vom angeblich so unfassbar talentierten Engländer in sich zusammen. Hat Russell die Nase vorn, wird jeder sagen – es geht halt doch nicht bei Kubica, mit diesem Arm. Russell muss Kubica schlagen. Wenn er als Supertalent von einem 34-Jährigen mit so langer Pause geschlagen wird, dann wird das schwierig für ihn. Das ist eine heikle Aufgabe für den jungen Briten.

Ich hätte zum Schluss gerne eine Bauchantwort von dir, Marc. Wer gewinnt den Grossen Preis von Australien?

(Lacht.) Ein Ferrari-Fahrer.

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