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Singapur-GP: Was wollte der Irre auf der Rennstrecke?

Von Mathias Brunner
​Unfassbare Szene in Runde 37 des Singapur-GP: Sebastian Vettel meldet sich erstaunlich ruhig über Funk seines Ferrari. «Äh, da steht ein Mann auf der Rennstrecke!»

Tiefe Nacht in Singapur, während in Europa die Menschen langsam zu Bett gehen. Die FIA spielt TV-Aufnahmen der Singapurer Rennorganisatoren auf die Monitore im Pressesaal: Gezeigt wird darauf, wie ein Mann durch eine Lücke im Zaun unweit von Kurve 13 des «Bay Marina Circuit» auf die Bahn steigt, dann in aller Seelenruhe die Strecke kreuzt, zwischendurch beschleunigt er seinen Gang etwas, vielleicht erschreckt vom nahenden Motorenlärm. Renn-Leader Sebastian Vettel ist dann der erste Fahrer, der vorbeiflitzt, während der in gestreiften Bermuda-Shorts und blauem T-Shirt gekleidete Mann in Rennrichtung gesehen auf der linken Seite dem Verkehr entgegenläuft. Rennleiter Charlie Whiting bringt sofort das Safety-Car auf die Bahn, so wie es für solche Fälle im Formel-1-Reglement vorgesehen ist.

Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner: «Er sieht so aus, als käme er gerade aus einem Nachtklub! Unfassbar … So etwas darf nicht möglich sein. Ich bin sicher, die FIA schaut sich das derzeit sehr genau an. Das war für alle brandgefährlich – für den Typen selber und auch für die Fahrer. Die Safety-Car-Phase dafür geht voll in Ordnung, denn du hast ja keine Ahnung, was der als nächstes tut.»

Der Mann mit dunklem Teint und kurzem, schwarzen Haar geht mit leichtem Seegang, ein Indiz dafür, dass hier möglicherweise Alkohol mit im Spiel gewesen ist. Er steigt dann durch eine andere Lücke und verschwindet.

Die Rennorganisatoren von Singapur bestätigen, dass ein Mann verhaftet werden konnte, der 27 Jahre alt ist und im Verdacht steht, der unerlaubte Pistengast zu sein. Schnell macht im Fahrerlager von Singapur die Runde: der angeblich aus England stammende Mann sei betrunken gewesen. Die Polizei kommentiert Zustand und Nationalität des Verhafteten nicht und erklärt lediglich, der Mann verhalte sich kooperativ.

Für die Singapurer hat die Affäre unangenehme Folgen: Sie werden erklären müssen, wie der Mann – betrunken oder nüchtern – auf die Bahn gelangen konnte. Dass dies ganz einfach ist, darüber berichtet die Twitter-Gemeinde, noch während der Singapur-GP läuft. Auf Twitter sind Bilder zu finden mit unbewachten Lücken im Zaun.

Die FIA wird nun den vollständigen Bericht der Singapurer Rennveranstalter abwarten und dann darüber entscheiden, ob und in welcher Form diese potenziell brangefährliche Situation geahndet wird.

Der Verhaftete muss vom Veranstalter mit einer Klage rechnen und wird möglicherweise bald merken – Straftaten in Singapur sind eine ganz schlechte Idee.

Irrer Pistenläufer schon in China!

Damit haben wir zum zweiten Mal in dieser Saison einen Pistenläufer: Gut eine Viertelstunde nach Beginn des zweiten freien Trainings zum Grossen Preis von China im vergangenen April rannte ein schwarzgekleideter Mann, offenbar von der Haupttribüne kommend, quer über die Start/Ziel-Gerade, ungefähr auf Höhe der Ziellinie, und hechtete gekonnt über die Boxenmauer Richtung Ferrari-Garage.

Der Mann hatte sich auf der Rennstrecke eine Lücke zwischen dem vorbeigerasten Sauber von Felipe Nasr und dem nahenden Force India von Nico Hülkenberg ausgesucht. Nach seinem Sprung über die Boxenmauer verschwand der Mann vom TV-Bild. Was geschah dann?

Der Mann bewegte sich zielstrebig Richtung Ferrari-Box, wurde jedoch von Sicherheitskräften überwältigt, bevor er in den Bereich von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen eindringen konnte.

Die Sicherheitskräfte übergaben den möglicherweise geistig Verwirrten daraufhin der Polizei. Augenzeugen zufolge hat der Mann auf Chinesisch geäussert, er wolle einen Formel-1-Renner fahren. Aktion und Aussage sprechen nicht für einen normalen Geisteszustand.

Bei Start und Ziel sind die GP-Renner jenseits von 250 km/h schnell. Gruselig der Gedanke was passierte, wäre er von einem Formel-1-Auto an- oder überfahren worden. So etwas musste die Formel 1 1977 erleben, damals kamen Shadow-Star Tom Pryce und ein Streckenposten ums Leben.

Die chinesischen Organisatoren reagierten auf Anweisung der Rennleitung umgehend: die Sicherheitskräfte, welche Zäune zwischen Tribünen und Rennstrecke überwachen, wurden verdoppelt.

Menschen auf der Rennstrecke sind im modernen GP-Sport äusserst selten. Unvergessen der frühere Geistliche Cornelius «Neil» Horan, der im britischen Grand Prix 2003 auf die Silverstone-Strecke rannte, um auf die Worte des Herrn aufmerksam zu machen (auf seinem Schild stand: «Lest die Bibel. Die Bibel hat immer Recht»). Das Einzige, was wirklich nah war, war sein eigenes Ende: der Wagen von Mark Webber verpasste den irren Priester nur um Haaresbreite.

Das Safety-Car musste auf die Bahn geschickt werden, um den Eindringling einzufangen. Held der Stunde war Streckenposten Stephen Green, der Horan mit einem gekonnten Ringergriff überwältigte. Horan, der auch bei anderen Sportanlässen Störefried spielte, wurde später für seine Aktion in Silverstone zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.

Im Jahre 2000 drang der 47jährige Robert Sehli, ein ehemaliger Angestellter von Mercedes, auf die Hockenheim-Rennstrecke vor, er war aus dem Dickicht der ersten Waldgeraden auf den Grünstreifen neben der Bahn gelangt. Der Franzose wollte mit seiner Aktion gegen eine seiner Meinung nach ungerechtfertigte Entlassung protestieren – was auf einer weissen Pellerine stand, die er trug.

Auch hier musste das Safety-Car ausrücken. Später kam heraus, dass er seine Aktion schon beim Frankreich-GP durchführen wollte, es dort aber nicht an den Sicherheitskräften vorbei geschafft hatte.

Selhi erhielt später eine Busse von 200 D-Mark. Und von einem französischen Gericht eine Wiedergutmachung in Höhe von rund 12.000 Dollar – der Richter fand ebenfalls, dass Selhis Entlassung nicht korrekt war.

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