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Jan Witteveen: Heftige Kritik an Michelin

Von Günther Wiesinger
Der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen versteht nicht, warum die Teams und Werke sowie die Dorna bei Michelin nicht auf eine bessere Qualität der MotoGP-Reifen pochen.

Michelin liefert in diesem Jahr zum dritten Mal die Einheitsreifen für die MotoGP-Weltmeisterschaft. Die Franzosen haben 2016 die Nachfolge von Bridgestone angetreten, die sich nach sieben Jahren aus eigenem Wunsch verabschiedet haben.

Der japanische Hersteller beklagte sich, dass für die hohen Kosten von rund 20 Millionen Euro im Jahr kein sinnvoller «return of investment» erzielt werde.

Der Einstieg von Michelin war von Problemen begleitet. Zuerst stürzten in der Testphase 2015 viele Fahrer wegen der unbrauchbaren Vorderreifen.

Dann platzte im Februar 2016 beim ersten großen Sepang-Test bei 300 km/h auf der Zielgeraden der Hinterreifen an der Avintia-Ducati von Loris Baz. Damals wurde verzapft, manche Teams würden mit 1,45 statt 1,5 bar Reifendruck fahren. Als könne der Unterschied zwischen Sein und Nichtsein von 0,05 bar abhängen.

Dieser explodierte Hinterreifentyp wurde jedoch noch am selben Tag aus der Zuteilung zurückgezogen.

Wenig später löste sich im FP4 in Argentinien im April 2016 bei der Pramac-Ducati von Scott Redding hinten die gesamte Lauffläche ab. Deshalb musste im Rennen trotz trockener Fahrbahn ein Pflichtstopp zum Reifenwechsel verordnet werden. Innerhalb einer Woche musste Michelin nachher widerstandsfähigere Reifen nach Texas liefern. Bei den ließ der Grip arg zu wünschen übrig. Erst in Le Mans konnte der Grip wieder verbessert werden.

Schon damals vermuteten ehemalige Bridgestone-Techniker, Michelin experimentiere mit zu weichen Karkassen.

Auch 2018 wird Michelin immer wieder mit Kritik konfrontiert.

Valentino Rossi fürchtete nach dem Katar-Test vor drei Wochen, sein bevorzugter Hinterreifen werde die 22 Rennrunden in Doha nicht überleben. Der Pneu hatte bei einem Long-run von ca. halber Renndistanz bereits 0,8 kg an Gewicht verloren.

Dazu berichten die Fahrer regelmäßig über Qualitätsprobleme, oft liefern zwei identische Reifentypen unterschiedliche Eigenschaften. Oder die angeblich weichen Reifen erlauben keine schnelleren Rundenzeiten.

Außerdem kommt immer wieder Kritik an der Allocation auf. Jack Miller hatte zum Beispiel in Katar für den zweiten Quali-Run im Q2 keinen frischen Hinterreifen mehr.

In der Allocation befinden sich bei jeden Grand Prix pro Fahrer zwölf Hinterreifen und zehn Vorderreifen. Hinten und vorne stehen normalerweise drei unterschiedliche Compounds zur Auswahl.

Vorne: 1x Soft, 1x Medium, 1x Hard.
Hinten: 1x Soft, 1x Medium, 1x Hard.

Jan Witteveen, von 1980 bis 2004 Aprilia-Renndirektor und Chefkonstrukteur mit 23 WM-Titeln und mehr als 120 GP-Siegen, kam zum Katar-GP und hörte sich bei den MotoGP-Teams wegen der Reifenproblematik um.

Der 71-jährige Niederländer ist als neuer Generalsekretär der einflussreichen Hersteller-Vereinigung MSMA im Gespräch.

Jan, die Diskussionen um Michelin setzen sich auch 2018 fort. Du hast mit vielen Teammitgliedern gesprochen. Dein Eindruck?

Ich bin eigentlich ziemlich schockiert über die Situation, die ich vorgefunden habe. Ich habe mit vielen Beteiligten gesprochen, auch mit Crew-Chiefs und Fahrern. Die Situation ist auch vom Sicherheitsstandpunkt aus betrachtet merkwürdig.

Niemand wird behaupten, dass Michelin nicht in der Lage ist, wirklich konkurenzfähige Reifen zu entwickeln.

Aber von der Qualität, die zur Zeit von Bridgestone geherrscht hat, von der sind wir momentan weit weg.

Anscheinend ist es so, dass bei Michelin oft Reifen des gleichen Typs nicht identisch funktionieren und arbeiten. Das kommt vor und ist das erste Problem.

Dazu wird kritisiert, dass sich die Hinterreifen im Laufe einer Renndistanz unterschiedlich verhalten. Es ist nicht so, dass sich der Reifen wie bei Bridgestone in der ersten Runde so verhält wie in der letzten. Bei den Japanern blieb das Verhalten des Reifens konstant.

Bei Michelin kann das Verhalten recht unterschiedlich sein. Es kann vorkommen, dass der Hinterreifen im Rennen eine Weile konstant bleibt und dann stark abbaut.

Bei den Vorderreifen klagen einige Fahrer über ein mangelhaftes Gefühl im Grenzbereich. Wenn sie pushen, deformiert sich der Reifen beim Fahren, die Auflagefläche verändert sich. Deswegen verändert sich das Gefühl immer wieder.

Meiner Meinung nach sind die Michelin-Reifen anders aufgebaut als bei früher bei Bridgestone. Die Japaner haben einen Reifen gebaut, bei dem die Struktur und die Karkasse ziemlich steif und hart war, dann haben sie eine Gummimischung darüber gestülpt, die für die Ansprüche der unterschiedlichen Pisten angepasst wurde.

Michelin arbeitet mit anderen Dimensionen als Bridgestone, sie haben sich für 17 Zoll statt 16,5 Zoll entschieden, weil diese Größen auch in der Serie weit verbreitet sind.

Alleinausrüster Pirelli ist in der Superbike-WM inzwischen auch auf 17 Zoll umgestiegen.

Aber bei Michelin ist die Struktur des Reifens weicher als bei Bridgestone. Sie arbeiten mit einer weicheren Karkasse und harten Gummimischungen. So erzielen sie die gewünschte Steifigkeit.

Diese Methode hat aber einen Nachteil, weil bei einer weichen, flexiblen Karkasse viel höhere Reifentemperaturen entstehen. Dadurch wird das Verhalten des Reifens je nach Fortdauer des Rennens unterschiedlich.

Das ist das Problem.

Ich verstehe nicht, warum die Teams, die MSMA oder die Dorna als Vertragspartner von Michelin nicht mehr Druck ausüben, damit die Franzosen Reifen konstruieren, die konstant arbeiten, mit denen ich im Rennen von A bis Z mit einer identischen Reifenperformance fahren und rechnen kann.

Wenn dann pro Runde eine Sekunde langsamer gefahren wird, das spielt keine Rolle, es sind ja Einheitsreifen, die Verhältnisse sind also für alle gleich. Aber die Sicherheit würde erhöht werden.

Das ist das, was ich gesehen und festgestellt habe.

Wenn ich eine weiche Karkasse habe, deformiert sich der komplette Reifen mehr, deshalb wachsen die Probleme. Und wenn ich mehr Motorleistung am Hinterrad habe, deformiert sich der komplette Reifen auch wieder mehr.

Wenn ich mehr Leistung habe und schneller fahren könnte, ist die Auswirkung auf die Rundenzeit wegen der Reifen womöglich negativ.

Man hört immer wieder von Fahrern, selbst von Routiniers wie Aleix Espargaró, dass sie mit frischen Reifen nicht schneller fahren können als mit gebrauchten. Die Rookies wie Tom Lüthi beklagen sich auch darüber.

Ja, weil die Mischung weich ist und die Karkasse auch, deshalb ist die Deformation des ganzen Reifens zu groß.

Meiner Meinung nach müsste von der Safety-Commission mehr Druck auf Michelin ausgeübt werden, auch von den Werken. Die Situation ist gefährlich.

Die Teams und Fahrer wissen, was mit den Reifen passiert, also versuchen sie sich anzupassen. Sie probieren die Probleme über die Elektronik zu lösen. Aber das ist die falsche Zugang.

Bridgestone hat am Anfang in der MotoGP-WM auch Probleme gehabt. Aber nicht drei Jahre lang.

Pirelli hat bei den Superbikes ähnliche Probleme wie Michelin in der MotoGP, das hat man beim Saisonstart in Australien deutlich gesehen.

Fakt ist: Ein 17-Zoll-Reifen ist leichter und einfacher zu produzieren als ein 16,5-Zoll-Pneu.

Wenn sich in der MotoGP identische Reifentypen unterschiedlich verhalten, ist etwas faul.

Man muss gewährleisten, dass die Fahrer in den Rennen mit den Reifen von der ersten bis zur letzten Runde Vollgas fahren können.

Wenn das nicht klappt, stimmt etwas mit der Qualität nicht.

Michelin muss etwas unternehmen, denn Bridgestone hat jahrelang vorgezeigt, dass es möglich ist, konstant arbeitende Reifen zu entwickeln.

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