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Tag und Nacht: Die zwei Seiten von Valentino Rossi

Kolumne von Michael Scott
Valentino Rossi: Überwiegt am Ende die Sonne?

Valentino Rossi: Überwiegt am Ende die Sonne?

Valentino Rossi (41) wird 2021 seine 26. WM-Saison bestreiten. Das ist seit dem Catalunya-GP endlich offiziell. Die Widersprüche rund um den Superstar der MotoGP-Szene werden damit aber nicht weniger.

Sonne, Mond und… Was noch? (Abgesehen von Galaxien, Schwarzen Löchern, Planeten, Meteoriten und leerem Raum…)

Das Tag-und-Nacht-Motiv am Helm von Superstar Valentino Rossi, das wir schon seit den 1990er-Jahren kennen, steht – wie er schon oft erklärt hat – für die zwei Seiten seiner Persönlichkeit.

Noch nie war seine Persona aber so zwiegespalten wie in seiner 25. Saison – Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

Der alte Mann der Startaufstellung beherrscht immer noch die Schlagzeigen, nachdem er endlich seinen neuen Petronas-SRT-Deal für die nächste Saison öffentlich gemacht hat – und auch nicht ausgeschlossen hat, 2022 weiterzumachen.

Die Neuigkeit war längst keine Überraschung mehr. Es ist aber nicht so sehr die Nachricht, sondern die Kombination aus Widersprüchen, die die Faszination Valentino Rossi ausmacht.

Der Catalunya-GP, bei dem die Vertragsunterzeichnung verkündet wurde, war bezeichnend: Ein schillernder Start – und ein Ende im Kiesbett.

Schon zuvor war der neunfache Weltmeister als Retter der italienischen GP-Szene gefeiert worden: Seine VR46 Riders Academy bringt eine ganze Generation an siegenden Talenten hervor. Sein Schützling Franco Morbidelli gewann Misano-1, Pecco Bagnaia war eine Woche später nahe dran – und über allem steht sein Markenname.

Darauf folgte in einer lockeren Pressekonferenz die formelle Bestätigung, dass seine scheinbare nie zu Ende gehende Karriere tatsächlich nicht vor dem Ende steht. Gleichzeitig sicherte sich der 41-Jährige eine feine erste Startreihe. Am nächsten Tag war er wieder stark unterwegs und nahm als Zweiter klar Kurs auf sein 200. Podium in der Königsklasse.

Dann aber stürzte er im Rennen – zum zweiten Mal in Folge.

Es ist eine Sache, mit den Kids vertraut zu sein. Aber es ist nicht so einfach, mit ihnen mitzuhalten.

Es gibt wirklich zwei Seiten dieses außergewöhnlichen Rennfahrers.

Das unermüdliche Genie, das die Freude am Rennfahren verkörpert, nach all den Jahren noch immer konkurrenzfähig ist, als dienstältester Top-Fahrer in der 70-jährigen Geschichte des Sports – und mit Abstand der Älteste in der aktuellen Startaufstellung.

Aber auf der anderen Seite gibt es auch den fehleranfälligen Rossi, der von den Youngsters übertrumpft wird, die ihn ein ums andere Mal daran hindern, auf das Podium zu klettern – ganz zu schweigen vom 90. Sieg in der «premier class». So fehlen dem neunfachen Weltmeister noch immer sieben Siege auf die Marke von Giacomo Agostini: 122 GP-Siege über alle Klassen. Rossis Chancen, diesen Rekord noch zu brechen, schwinden stetig.

Es gibt den alterlosen Meister, der so schnell wie jeder andere sein kann, mit seinem einzigartigen Verständnis für die Reifen, das Chassis und die Federelemente. Die Bandbreite seines Wissens ist unübertroffen.

Auf dem Beifahrersitz fährt aber der alte Fuchs mit, dem es schwerfällt, neue Tricks zu lernen.

Rossi ist Yamahas unverzichtbarer Botschafter, sein Bild ist so stark und untrennbar mit der Marke verbunden, dass sie es nie wagen würden, diese Beziehung aufs Spiel zu setzen.

Dem gegenüber steht der Fahrer, der nicht gehen will, der ein Werks-Bike in Beschlag nimmt, dass sie insgeheim lieber einem geben würden, der mehr Zukunft als Vergangenheit hat.

Für Petronas SRT ist Rossi der Mann, der einen der zwei Fahrer herangezüchtet hat, die ihnen jetzt Rennsiege bescheren. Damit wird ihr Ziel erfüllt, neue Talente aufzuziehen und für das Werksteam aufzubauen – um dadurch wiederum den Stellenwert des noch relativ neuen Kundenteams zu untermauern. Aber jetzt ist er auch der Mann, der sie genau davon abhält, einen weiteren Newcomer zu entdecken und zu fördern.

Rossi ist die Miss Havisham der MotoGP-WM, auch wenn er noch ein Stück davon entfernt ist, neben einer mit Spinnweben überzogenen Hochzeitstorte zu kauern.
Gleichzeitig ist er auch der Peter Pan: Ewig jugendlich und eine Lichtgestalt für die verlorenen Jungs… die sich auf der Dirt-Track-Strecke seiner Ranch tummeln.

Der Sport muss sich selbst immer wieder mit frischen Talenten erneuern, die dann die Errungenschaften jener übertreffen müssen, die vor ihnen da waren. Das liegt in der Natur der Evolution – und deshalb hat Valentino Marc Márquez in den 127 Rennen seit dessen Aufstieg im Jahr 2013 auch nur 18 Mal geschlagen.

Dasselbe gilt aber auch für Márquez: Sollte er so lange weitermachen, wie es jetzt Rossi tut, dann wird es ihm genauso ergehen. Vielleicht sogar früher.

Das ist etwas, dass Fahrer im Hinterkopf behalten müssen, wenn sie sich von Rossis Worten inspiriert fühlen. Der 41-Jährige sagte kürzlich: «Vielleicht kann ich anderen Fahrern zeigen, dass man nicht aufhören muss, nur weil man älter wird.»

Aber wer ist schon wie Valentino? Wem kann das Kunststück gelingen, das in der Vergangenheit für so viele unmöglich zu sein schien: Sich nicht nur die Freude am Rennfahren zu bewahren, sondern es gleichzeitig mit der Intensität zu tun, die auf dem höchsten Level gefordert wird. Das ist ein ganz besonderer Kunstgriff.

Zum Henker mit der Evolution. Gott sei Dank geht Valentino noch nicht.
Das Racing wäre ohne ihn einfach nicht dasselbe.

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