Valentino Rossi sucht das Glück

Max Verstappen: Der Junge, der König sein will

Von Justin Hynes
​Mit 18 Jahren Max Verstappen einen Grand Prix gewonnen, mit 19 ist er WM-Fünfter. Viele glauben, er wird einer der größten Fahrer überhaupt. «The Red Bulletin» geht der Frage nach: Was macht ihn so besonders?

Alle Karrieren herausragender Formel-1-Fahrer haben eines gemeinsam: unvergessliche Momente, in denen aus Talenten Champions und aus Champions Legenden wurden.

Der Grand Prix von Deutschland 1968 brachte einen solchen Moment, als Jackie Stewart mit einem verrückten Ritt im strömenden Regen den Rest des Feldes um vier Minuten deklassierte. Oder der GP von Europa 1993, als Ayrton Senna im Regen der ersten Runde von Platz fünf auf Platz eins wirbelte – und damit allen bewies, was für ein phänomenaler Fahrer er selbst mit 33 noch war. Oder der GP von Belgien 1991, als ein Nobody namens Michael Schumacher seinen Jordan auf Startplatz sieben trieb.

2016 erlebten wir wieder so einen Moment, beim GP von Brasilien. Nach drei endlos langen Stunden, mit Regen, Unterbrechungen und Safety-Car-Phasen, waren nur noch 16 Runden zu fahren, als Max Verstappen vom 14. Platz aus eine unglaubliche Aufholjagd startete.

Er räuberte durchs Feld, als hätte er als Einziger eine trockene Linie gefunden. Und belegte am Ende Platz drei. Mit 19 Jahren.

Geschlagen nur von den beiden in dieser Saison überlegenen Nico Rosberg und Lewis Hamilton.

Die Performance in Brasilien veränderte Verstappens Leben. Der jüngste Fahrer in der Geschichte der Formel 1 war zu einem der Besten des Felds geworden. «Wir waren heute Zeuge von etwas ganz Besonderem», sagte Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner. «Das hat mich an Ayrton Senna in Monaco erinnert.» Der dreifache Weltmeister Niki Lauda ergänzte: «Verstappen war unglaublich. Ich wusste, der Kerl ist gut. Aber nun hat er gezeigt, was er wirklich draufhat.»

Schon sechs Monate zuvor hatte der Newcomer
aus den Niederlanden den Grand Prix von Spanien gewonnen, bei seinem Debüt-Rennen für Red Bull Racing, als mit Abstand jüngster Formel-1-Siegfahrer. Trotzdem war seine Leistung in São Paulo bedeutender – wegen der besonderen Härte des Rennens und wegen der für den Youngster sehr schwierigen Phase davor.

Wochenlang nämlich war Verstappens aggressiver Fahrstil von vielen Rivalen heftig kritisiert worden. Sebastian Vettel nannte ihn gar einen «Bastard», der Niederländer wurde öffentlich als Gefahrenquelle gebrandmarkt, die FIA führte sogar eine neue Bestimmung ein, um Zweikämpfe klarer zu regeln. Aber Brasilien ließ die Kritiker verstummen.

Und nicht nur das: Gerhard Berger, zehnfacher Grand-Prix-Sieger, Ex-Teamkollege von Senna, verglich den umstrittenen Shootingstar sogar mit der brasilianischen Legende. «Und das ist das erste Mal, dass ich so etwas sage, weil ich Ayrton sehr nahestand und ihn für den Größten halte. Aus Respekt habe ich immer versucht, Vergleiche zu vermeiden. Aber bei Max fällt mir das echt schwer.»

Diesen Monat startet Max Verstappen in seine dritte Formel-1-Saison, zum ersten Mal vom Start weg für Red Bull Racing, zum ersten Mal vom Start weg für ein Spitzenteam. Dem wegen der Regeländerungen im Bereich der Aerodynamik gute Chancen eingeräumt werden, um Grand-Prix-Siege mitzufahren – und vielleicht sogar um mehr, wie Max Verstappen im Gespräch mit «The Red Bulletin» sagt.

Dein Vater Jos war Formel-1-Fahrer, deine Mutter Sophie Kumpen war Kart-Champion, du selbst bist mit vier Jahren zum ersten Mal in einem Gokart gesessen. Bist du als Rennfahrer auf die Welt gekommen?

Ich hatte schon die freie Wahl. Meine Eltern hätten es auch okay gefunden, wäre ich Fußballer geworden, aber Gokartfahren machte mir viel mehr Spaß. Mein Vater pushte mich nie. Als ich vier war, sagte ich ihm: «Ich will ab jetzt Gokart fahren.» Er lehnte ab: «Wir müssen warten, bis du mindestens sechs bist.» Aber ich wollte nicht warten. Ich nervte ihn, bis ich zwei oder drei Wochen später mein erstes Gokart hatte.

Malcolm Gladwell schreibt in seinem Buch «Überflieger: Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht», dass man 10.000 Trainingsstunden braucht, um in einem Bereich zu den Besten zu gehören. Kannst du das bestätigen? Ist Training wichtiger als Talent?

Für mich klingt das ein bisschen zu einfach. Ohne Talent wirst du nie zu den Besten gehören – da kannst du eine Million Stunden üben. Du brauchst außerdem ein gutes Umfeld, das dich unterstützt. Ich hatte zum Glück meine Eltern. Sie brachten mir vieles bei, und sie führten mich in die richtige Richtung. Aber wie gesagt: Das alles hätte ohne Talent nichts genützt.

Dein Vater Jos hatte als Fahrer den Ruf, sehr zielstrebig zu sein. War er ein strenger Lehrer?

Manchmal war er schon ziemlich hart zu mir. Heute bin ich froh darüber, weil es mich dorthin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Aber ich hörte nie ein «Du musst gewinnen» oder so etwas von ihm. Ihm war wichtig, dass ich gut vorbereitet bin und den Sport nicht nur als Spaß betrachte – schließlich musst du auch als Profi alles richtig machen. Aber gedrängt hat mich mein Vater nie.

In der F1 gibt es das alte Sprichwort: «Wenn du gut genug bist, bist du auch alt genug.» Glaubst du, hätte es dir geholfen, wenn du ein Jahr in einer Rennklasse darunter gefahren wärst, GP2 oder GP3?

Nein, das hätte es wohl sogar schwieriger gemacht. Du brauchst im Rennfahren immer auch ein bisschen Glück, richtige Zeit, richtiger Ort, richtiges Team. Was wäre gewesen, hätte ich in der GP2 oder GP3 eine schlechte Saison gehabt? Nein, ich bin glücklich mit meiner Entscheidung. Es war ein gewisses Risiko, so früh in die Formel 1 zu gehen, aber ich war eigentlich sicher, dass ich es schaffen kann.

Du warst in deiner ersten Saison bei Toro Rosso, dann holte dich Red Bull Racing ins Team, als Ersatz für den Russen Daniil Kvyat. Für euch beide war dieser Wechsel für die weitere Karriere entscheidend. Du stiegst auf, er stieg ab. Ist die Formel 1 grausam?

Mein Vater hat mir erzählt, wie es in der Formel 1 zugehen kann, dass ich mich auf ein hartes Geschäft einstellen muss. Aber am Ende geht es darum, deine Chancen zu nützen, einen guten Job zu machen. Klar kann das manchmal hart sein, aber jeder F1-Fahrer macht harte Erfahrungen.

Du hast als Debütant für Red Bull Racing einen Grand Prix gewonnen, hast sieben Podestplätze, 204 Punkte, WM-Platz fünf erreicht. Gibt es Bereiche, in denen du dich 2016 besonders verbessert hast?

Das war einfach die Erfahrung, von Rennen zu Rennen. Da war nichts Neues, was ich lernen musste. Wenn du in die F1 kommst, müssen alle Skills ohnehin auf mindestens 95 Prozent sein. Und jedes einzelne Prozent in jedem einzelnen Bereich, sei er noch so klein, bringt dich dann weiter. Ziel sind natürlich 100 Prozent in 100 Prozent der Bereiche. Und darauf musst du geduldig hinarbeiten.

2016 war nicht nur rosig. Du wurdest wegen deines Fahrstils kritisiert. Warst du überrascht von der Härte der Kritik?

Das spielte für mich keine Rolle. Jeder kann seine Meinung haben.

Beim Fahrerbriefing in Austin wurdest du sogar zur Rede gestellt, das Ganze wurde ziemlich persönlich. Da würde man doch am liebsten einfach aufstehen und gehen?

Ich bin da ziemlich entspannt. Sie können sagen, was sie wollen, ich werde meinen Fahrstil nicht ändern. Sie müssen lernen, damit umzugehen.

Du spürst also keinen Druck, dich zu ändern?

Das geht doch gar nicht. Es ist wie bei einem Fußballer: Wenn du Stürmer bist, kannst du nicht plötzlich Verteidiger werden. Stürmer zu sein liegt in deiner Natur. Da kann dir jemand tausendmal sagen, du musst Verteidiger werden, das ändert nichts in dir. Nein, ich verändere mich für niemanden.

Kein Selbstzweifel?

Nein. Du musst auf dich selbst hören, nicht auf andere, natürlich ausgenommen die, denen du wirklich vertraust. Zweifel? Wieso? Ich tue einfach das, was ich am liebsten tue: einen Rennwagen zu fahren. Und darum geht’s. Das muss ich tun, so gut ich kann.

In der F1 vergisst man schnell. Schon in Brasilien wurdest du wieder als der nächste Ayrton Senna gefeiert. Eine Genugtuung?

Nein. Das ist eben die F1: Du bist nur so gut wie dein letztes Rennen. Einmal heben sie dich in den Himmel, zwei Wochen später bist du der Teufel. Deshalb ist es auch gut, keine Zeitungen zu lesen. Ich bin auch nicht auf Twitter, Facebook oder Instagram.

In São Paulo bist du eine Linie gefahren wie kein anderer. Wie hast du das gemacht?

Bloß gesunder Menschenverstand. Außerdem lernst du das beim Gokartfahren, weil du da ständig andere Linien probierst. Mein Vater brachte mir bei, das vor allem bei Regen zu machen. So findest du Stellen, die weniger befahren und daher rauer sind, du hast mehr Grip, kannst später und härter bremsen, dadurch erzeugst du Hitze, die überträgt sich auf die Felge, dadurch wird der Reifen erwärmt – und du fährst schnellere Runden.

Und warum hat das sonst keiner gemacht?

Ich vermute, viele der älteren Jungs haben einfach nicht daran gedacht. Weil sie schon lange nicht mehr Kart gefahren sind oder nicht oft auf nassen Strecken üben. Vielleicht haben sie auch einfach zu kompliziert gedacht. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

Reden wir doch über diese älteren Jungs. Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen haben sich ziemlich undiplomatisch über dich geäußert – zwei Fahrer, über die sich ihrerseits, als sie jung in die F1 gekommen waren, die damals Älteren beschwert hatten. Ist ihnen in all den Jahren einfach das Feuer der Jugend abhandengekommen?

Es ist ganz natürlich, dass du ein wenig bedächtiger, ruhiger wirst, konservativer, wenn du älter wirst. Mit 65 werde ich genauso sein! Wenn du jung bist, willst du immer das Beste rausholen, jeden Tag, in jeder Sekunde, und dieses Feuer, das lässt wohl mit der Zeit nach.

Also ist das Risiko, das du nimmst, okay? Oder doch ein bisschen zu hoch?

Ersteres. Was ich tue, ist absolut im Rahmen.

Braucht man als Champion eine gewisse Rücksichtslosigkeit?

Ja, ich finde schon. In der Formel 1 kommt nichts von selbst. Du musst für alles arbeiten und um alles kämpfen.

Mit Daniel Ricciardo hast du einen ziemlich starken Stallkollegen. Solange man innerhalb eines Teams nicht um Siege oder Titel kämpft, ist es relativ leicht, gut miteinander klarzukommen. Aber was, wenn es mal um etwas Größeres geht?

Es geht vor allem um Respekt voreinander, auf der Strecke und abseits davon. Egal worum es geht, um Platz zehn oder die WM, das Wichtigste zwischen Fahrern ist Respekt. Solange der vorhanden ist, geht es nur noch darum, wer auf der Strecke der Schnellere ist. Und das wird in einem fairen Duell herausgefunden. Ich habe keine Zweifel, dass das zwischen Daniel und mir so ist – und auch so bleiben wird, egal worum es geht.

Du bist jetzt neunzehn. GP-Sieger, WM-Fünfter, nach nur zwei Saisonen vergleicht man dich bereits mit den Allergrößten der F1-Geschichte. Und du hast vielleicht noch zwanzig Jahre an der Spitze vor dir. Wie weit wird die Reise gehen?

Keine Ahnung. Das Wichtigste ist, dass ich bis zum Ende meiner Karriere immer versuche, mich zu verbessern.

Das Gespräch mit Max Verstappen finden Sie auch in der jüngsten Ausgabe von «The Red Bulletin».

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