MV Agusta: 49,9 Prozent über Nacht nichts mehr wert
MV Agusta verfügt über legendäre Rennsport-Erfolge, ist für sein ikonisches Design berühmt, für erstklassige Performance und Technologien – aber auch für Misswirtschaft. Seit der Gründung 1945 hatte die Firma mehrere Eigentümer und war wiederholt zahlungsunfähig.
1977 stellte MV Agusta erstmals die Produktion ein, 1992 übernahm die Castiglioni-Gruppe und wagte einen Neustart.
Im März 2008 übernahm Harley-Davidson 100 Prozent der MV-Agusta-Gruppe für rund 70 Millionen Euro, zwei Jahre später stieß der US-Riese die Marke wieder ab.
Nach dem Tod von Claudio Castiglioni 2011 übernahm dessen Sohn Giovanni die Firma – und fuhr sie beinahe gegen die Wand, als er die exklusive Marke zum Volumenhersteller pushen wollte. Er senkte die Preise drastisch, doch die Produktionskosten blieben fast gleich hoch. Das konnte nicht aufgehen, und Anfang 2017 war MV Agusta erneut pleite.
Rettung nahte in Form der Black Ocean Investment Group des Russen Timur Sardarov. Er ist der Sohn des Industriellen Rashid Sardarov, der es mit seiner Firma Comstar Energy Group durch Öl- und Gasförderung auf ein Vermögen von geschätzten vier Milliarden US-Dollar gebracht hat.
Timur Sardarov investierte schon Ende 2016 in MV Agusta und erreichte im Juni 2017 mit einer Zahlung von weiteren 50 Millionen Euro die Mehrheit bei MV Agusta, als er die 25-Prozent-Beteiligung von Mercedes-Tochter AMG übernahm, die 2014 eingestiegen war. Er bekleidete den Posten des CEO und Vorstandsvorsitzenden, für Giovanni Castiglioni wurde zunächst der Posten des Präsidenten geschaffen, bevor er entmachtet wurde und die Firma 2019 verließ.
Am 29. Dezember 2022 hat das zuständige Gericht in Varese/Italien festgestellt, dass die MV Agusta Motor S.p.A. alle Forderungen der Vorjahre, die nach einem ausgehandelten Vergleich mit den Gläubigern noch ausstehend waren, vollumfänglich beglichen sind. Damit sei der Restrukturierungsprozess abgeschlossen, hieß es damals.
Seit September 2022 wurde die Zusammenarbeit mit der KTM AG, einer Tochter der Pierer Mobility Gruppe (KTM, Husqvarna, GASGAS), sukzessive intensiviert. Nach dem Vertrieb der MV-Motorräder in Nordamerika übernahm die KTM AG den weltweiten Vertrieb und beteiligte sich mit 25,1 Prozent an MV Agusta. Im März 2024 erwarb die Pierer-Gruppe weitere 25 Prozent, seither besitzt sie mit 50,1 Prozent die Mehrheit an MV Agusta.
Jetzt steht MV Agusta wieder einmal vor einschneidenden Veränderungen, denn am 29. November 2024 hat die KTM-Gruppe vor Gericht den Antrag auf ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung eingebracht. Teil der Restrukturierung wird sein, dass sich die Pierer-Gruppe von MV Agusta trennt, denn bei KTM hat sich ein Schuldenberg von 1,5 Milliarden Euro angehäuft und es droht die Insolvenz.
Die KTM AG hat im Rahmen dieser Kooperation im Oktober 2023 die Lieferkette und den Einkauf von MV Agusta übernommen. KTM bestimmt, wie viele Motorräder von welchem Modell von MV Agusta gebaut werden und bestellt diese. In der Fabrik in Varese erfolgt die Endmontage, die fertigen Motorräder gehen dann wieder an KTM.
Dieser Ablauf hat für Sardarov zur Folge, dass ihm zwar 49,9 Prozent des Unternehmens gehören, aber keine Ware. Bleiben die Bestellungen von KTM aus, muss der Russe trotzdem die Mitarbeiter bezahlen und für diverse Kosten wie die Stromrechnung aufkommen. Steigt KTM aus, müsste er bereits gefertigte Maschinen von den Österreichern zurückerwerben, um etwas für den Verkauf zu haben.
Erschwerend kommt hinzu: Weil die Motorräder von MV Agusta seit 2022 zunehmend über KTM-Händler verkauft werden, gibt es kaum noch Läden, die exklusiv die italienische Nobelmarke an den Kunden bringt.
«Möchte MV Agusta von KTM unabhängig produzieren, müssen sie jegliche Teile selbst einkaufen», erklärte ein Insider gegenüber SPEEDWEEK.com, der ungenannt bleiben möchte. «MV hat momentan in Varese kein Lager, nicht eine Schraube, keinen Tank, kein Chassis, sie können nichts produzieren. Außerdem: Ein Lieferant, der beim letzten Konkurs von MV Agusta 50 Prozent seiner Forderungen verloren hat, wird jetzt 70 Prozent verlieren. Denn der Plan sieht vor, dass KTM nur eine Schuldentilgung von 30 Prozent innerhalb zwei Jahren erfüllt. Diese Firmen haben jetzt ein Riesenproblem mit MV und werden in Zukunft nur noch gegen Vorkasse etwas liefern. So etwas ist für fast jede größere Firma ein Problem.»
«Wenn Sardarov am Ende nicht mit null dastehen will, dann muss er die 50,1 Prozent zurückkaufen», so der MV-Intimus. «Dann wäre er wenigstens wieder unabhängig. Das geht aber nicht für einen Euro, wie damals bei Castiglioni und Harley-Davidson. Dieses Mal wird ein Richter schauen, wer am meisten für die Firma bezahlt. Ein neuer Teilhaber muss damit einverstanden sein, Partner von Sardarov zu werden. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass Sardarov einen Investor mit ins Boot holt und so die Anteile von KTM zurückkauft, wenn er nicht alles selbst bezahlen will. Er könnte natürlich auch seine Anteile verkaufen und aussteigen. Im Moment gehören ihm 49,9 Prozent, die sind aber nichts wert – nichts! Er hat nur einen Markennamen.»