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Bernie Ecclestone abserviert: Wie es nun weiter geht

Von Mathias Brunner
Das sind die Nachfolger von Bernie Ecclestone: Sean Bratches (links), Chase Carey (Mitte) und Ross Brawn

Das sind die Nachfolger von Bernie Ecclestone: Sean Bratches (links), Chase Carey (Mitte) und Ross Brawn

​F1-Baumeister Bernie Ecclestone (86) sitzt nicht mehr am Ruder des grössten Sportspektakels. Der Medienkonzern Liberty Media hat ihn beiseitegeschoben. Wir sagen, was die US-Amerikaner planen.

Am Montag, 23. Januar 2017 ist die Ära Bernie Ecclestone in der Formel 1 zu Ende gegangen: Der 86jährige Engländer, der es vom Gebrauchtwagenhändler zum Multimilliardär gebracht hat, ist als Machthaber, manche würden sagen als Diktator der Formel 1 abgesetzt – zur Seite geschoben vom neuen Formel-1-Grossaktionär Liberty Media. Die US-Amerikaner sind klug genug zu wissen: Der Baumeister der modernen Formel 1 ist als Einzelperson in dieser Form nicht zu ersetzen, weil das einfach nicht mehr zeitgemäss ist, seine Aufgaben werden künftig vielmehr auf verschiedene Fachkräfte aufgeteilt.

Ohne Bernie Ecclestone wäre die Formel 1 nie zu solch einem Milliarden-Geschäft geworden. Aber Ecclestone muss sich den Vorwurf gefallen lassen, vieles verschlafen zu haben, allein den Schritt in die digitale Gegenwart. Internet, Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat, das ist nicht seine Welt, wie er selber zugegeben hat. Ein hochrangiger FIA-Mitarbeiter sagte mir im Frühling 2016: «So lange Bernie Ecclestone an der Macht ist, wird sich in Sachen sozialer Netzwerke in der Formel 1 wenig tun. Er versteht sie schlicht nicht.»

Bernie Ecclestone ist Ehren-Geschäftsleiter in der neuen Struktur, das klingt schön, ist aber im Grunde nichts anderes als eine Entmachtung. Zu sagen hat «Mr. E» nichts mehr.

Chase Carey ist Formel-1-Verantwortlicher von Liberty Media im Range eines Vorstandsvorsitzenden. Ihm zur Seite steht Ross Brawn, Wegbegleiter von Michael Schumacher bei Benetton, Ferrari und Mercedes, Technikchef dieser Rennställe, als Teamchef von BrawnGP 2009 Weltmeister mit Jenson Button. Der 62jährige Engländer wird sich um die sportliche Entwicklung der Formel 1 kümmern, im Range eines Geschäftsleiters Motorsport. Ebenfalls an Careys Seite: Sean Bratches, langjähriger Marketing-Chef des Sport-TV-Senders ESPN. Der US-Amerikaner leitet ab sofort den kommerziellen Teil des Sports, ebenfalls im Range eines Geschäftsleiters.

Greg Maffei als Präsident und CEO von Liberty Media wird sich zusammen mit Carey um strategische Fragen kümmern – digitale Inhalte, Ausbau des WM-Programms.

Für Ecclestone stand immer die Frage im Mittelpunkt, wie er am meisten Geld aus der Formel 1 machen konnte. Natürlich handelt es sich bei Liberty Media nicht um eine wohltätige Stiftung. Auch hier geht es um den Dollar. Doch die US-Amerikaner wissen: Ohne soziale Netzwerke geht es nicht, und zum Wachstum der Formel 1 ist es unumgänglich, den Sport wieder mehr Menschen zugänglich zu machen. Gerade über mobile Informationsmittel wie Smartphone oder Tablet.

Aber das ist nur ein Problembereich von vielen Baustellen, um die sich Liberty Media in den kommenden Monaten und Jahren kümmern muss. Denn bei der Gelddruckmaschine Formel 1 ist mächtig Sand im Getriebe.

Wer ist eigentlich dieser Chase Carey? Der 62-Jährige hatte in den 90er Jahren die richtige Nase, innerhalb des FOX-Konzerns die Sportberichterstattung zu fördern. Es war Carey, der mit der National Football League (NFL) einen 1,6-Milliarden-Vertrag für die Übertragungsrechte der Spiele abschloss. Ergebnis: FOX Sports wuchs und gedieh.

Carey hat genaue Vorstellungen davon, was er aus der Formel 1 machen will: «Wir sehen unser Engagement als Gelegenheit, den Sport zum Wohle von Fans, Rennställen, Partnern und Teilhabern wachsen zu lassen. Wir wollen den Sport intensiver vermarkten. Wir wollen vor allem im digitalen Bereich zulegen, den Rennkalender entwickeln, eine breitere Basis an kommerziellen Partnerschaften eingehen. Wir sehen überall Potenzial für Wachstum: bei der Vermarktung der Grands Prix, bei den TV-Übertragungen, bei der Werbung, beim Sponsoring.»

Carey hat sich die Lage des GP-Sports genau angeschaut und zahlreiche Problemzonen erkannt: Die Geldverteilung unter den Rennställen (bis 2020 gültig) ist so ungerecht, dass kleine Rennställe entweder aufgeben mussten oder am Rande des Ruins balancieren. Carey und seine Mitarbeiter wollen beispielsweise jene Sonderzahlung von 100 Millionen Dollar für Ferrari kippen, welche die Italiener mit Ecclestone ausgehandelt hatten, nur damit sie der Formel 1 gewogen bleiben.

Die Entscheidungsfindung muss direkter werden und transparenter. Zu oft sind Beschlüsse nur mit Blick aufs Geld getroffen worden, zu wenig mit dem Gedanken, den Sport langfristig zu verbessern.

Der Sport bietet zu wenig Unterhaltung. Die Einschaltquoten sind gesunken. Erstens, weil es zu wenige Teams gibt, die um den Sieg kämpfen können. Zweitens, weil immer mehr Fernsehrechte an Pay-TV-Sender gegeben wurden. Das brachte mehr Geld ein, kostete aber Fans.

Den europäischen GP-Veranstaltern geht ohne Staatshilfe der Schnauf aus. Monza oder Monaco können schlicht nicht so viel bezahlen wie Abu Dhabi oder Aserbaidschan. Horrende Antrittsgebühren haben dazu geführt, dass die Ticketpreise erhöht werden mussten – das wiederum kostete Zuschauer.

Die Abkehr von traditionellen GP-Nationen hat viele langjährige Fans enttäuscht. Nicht am Fusse der Nürburg zu fahren oder in Frankreich, dafür entlang der Stadtmauer von Baku, das hat gewiss mehr Geld in die Kasse, aber nicht mehr Zuschauer gebracht.

Die Formel 1 hat wie erwähnt den Gang ins digitale Zeitalter verpennt. Das ist einer der Gründe, wieso viele junge Menschen vom GP-Sport nicht gefesselt werden. Die Zuschauer in der Formel 1 sind überaltert.

Vor allem ist nicht verstanden worden, dass die jungen Menschen – wenn überhaupt – anders Rennsport gucken wollen. Vorbei die Zeiten, als sich Vater und Sohn am Sonntagnachmittag um 14.00 Uhr vor die Flimmerkiste gesetzt haben. Die jungen Menschen schauen mobil, und im Internet wurden sie bislang von der Formel 1 weitgehend im Stich gelassen. Video-Clips von Fans im Internet werden blockiert, Lewis Hamilton erhält eine Rüge, wenn er ein Snapchat-Video postet. Dabei hätten die Formel-1-Mächtigen in den vergangenen Jahren genau das Gegenteil tun sollen: Je mehr Bewegtbilder vom GP-Sport ins Netz gestellt werden, desto mehr Menschen erreicht die Formel 1.

Greg Maffei will die Präsenz der Formel 1 auf digitalen Plattformen vergrössern, Stichworte sind VoD (Video on Demand, Video auf Anforderung) und OTT (Over the Top Content, Übermittlung von Videoinhalten über Internetzugänge). Greg Maffei sagt: «Wenn ich an den globalen Charakter der Formel 1 denke und an eine hingebungsvolle, weltweite Fanbasis, dann kommt mir ein OTT-Produkt als sehr sinnvoll vor.»

Die Umsetzung wird nicht ganz einfach, weil Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone die TV-Rechte auf Jahre hinaus vergeben und die Geldverteilung in Form von Einzelverträgen der «Formula One Group» mit den elf Rennställen geregelt hat. Maffei gibt daher zu: «Diese Abkommen sind nicht undurchdringlich, aber wir müssen uns da zuerst durcharbeiten.»

Denkbar sind zahlreiche verschiedene Möglichkeiten, wie Fans künftig Formel 1 schauen – zuhause im Fernsehen über Bezahl-Portale, am Computer, mobil auf Smartphones, Tablets und Laptops. Das ganze Rennen für einen Fixbetrag, Highlights für eine kleine Gebühr, live oder zeitversetzt, alles ist machbar.

Das Wahrnehmung der Formel 1 wurde in den letzten Jahren verzerrt: Die Autos? Zu leise und zu langweilig aussehend. Das Fahren? Offenbar einfach genug, dass ein 17-Jähriger einsteigen und mithalten kann. Liberty Media will eine Formel 1, in welcher die Fahrer wieder als Helden wahrgenommen werden. Die Regeln? Zu kompliziert, so dass selbst langjährige Fans verärgert werden.

Maffei ist davon überzeugt, dass die Formel 1 in vielen Bereichen überrundet worden ist. Herstellung und Verkauf von Fanartikeln sind desorganisiert und unterentwickelt. Gemäss Maffei hat der GP-Sport viel zu wenig offizielle Partner, wie er im vergangenen Herbst feststellte: «Ich glaube, wir haben in der Formel 1 derzeit 17 offizielle Geldgeber und drei Fachkräfte, die sich um Sponsoren kümmern. Zum Vergleich – die Basball-Mannschaft Atlanta Braves hat 75 Sponsoren und eine ganze Abteilung, die sich nur um Sponsoring kümmert. Da können wir erheblich mehr tun.»

«Wir sitzen zudem auf 21 Austragungsorten. Das lässt sich über die Zeit ausbauen. Wir haben zwar teilweise sehr hohe Antrittsgebühren ausgehandelt, aber wir sehen den Weg im Ausbau des Programms mit Orten, die für Fernsehanstalten und Sponsoren reizvoller sind. Ich sehe da vor allem Asien und Lateinamerika, längerfristig Nordamerika, besonders die USA, wo wir zu wenige Zuschauer haben und zu schwach finanziert sind. Das alles geht aber nicht über Nacht.»

«Was zusätzliche Austragungsorte in den USA angeht, so sehe ich Städte, die eine natürliche Anziehungskraft haben. Ich finde Miami oder Las Vegas überaus interessant. Aber auch das wird sich nicht innerhalb einer Woche lösen lassen. Insgesamt sehen wir den US-amerikanischen Markt für die Formel 1 als viel zu wenig erschlossen. Ich erkenne derzeit kein organisiertes Vorgehen, was digitale Angebote betrifft. Ich sehe vieles, was wir machen könnten in den Bereichen Spiele, virtuelle Realität und erweitere Realität, also das Einblenden von visuellen Zusatzinformationen. Wir haben aus der Formel 1 jede Menge TV-Bilder und Daten, die wir sammeln, dem Fan aber nicht weitergeben.»

«Wir wollen ein Produkt, das direkter auf die Konsumenten zugeschnitten ist. Wir glauben, dass sämtliche digitalen Plattformen da eine entscheidende Rolle spielen. Wir sich das alles mit den traditionellen Sendeanstalten vereinbaren lässt, müssen wir ausarbeiten. Aber ich glaube, wir haben jede Menge Material, mit dem wir arbeiten können.»

Die Spitzenmanager von Liberty Media erkennen auch viel Handlungsbedarf beim Vermarkten der Serie. Formel-1-Baumeister Ecclestone trat als Promoter auf, aber die meisten Menschen in Shanghai haben keine Ahnung davon, dass ausserhalb ihrer Stadt ein Grand Prix stattfindet. Im Vorfeld eines Formel-1-WM-Laufs sollen an den verschiedenen Austragungsorten zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, welche zum Spannungsaufbau zum Grand Prix vom Sonntag beitragen.

Maffei sagte ferner: «Ich sehe auch Glücksspiele als Geschäfts-Chance. Ausserhalb der USA besteht eine enorme Wettgemeinde, von der wir nicht profitieren.»

Bernie Ecclestone stand vielen solcher Ideen ablehnend gegenüber, oder er hat ihre Bedeutung schlicht falsch eingeschätzt.

Liberty Media hat sehr viel Arbeit vor sich.

Den Formel-1-Sport aufzupäppeln, das wird Jahre dauern.

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