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Baku-GP auf Kopfsteinpflaster – kein April-Scherz

Von Mathias Brunner
​Der Grosse Preis von Aserbaidschan führt teilweise über das altehrwürdige Kopfsteinpflaster der Stadt Baku – ohne Scherz. Natürlich wird dieser Untergrund fürs GP-Wochenende abgedeckt.

Einmal habe ich mich mit Rennstrecken-Architekt Hermann Tilke zusammengesetzt, um ein wenig über Pisten-Design zu fachsimpeln. Ich sagte zum Deutschen: «Sprungpassagen wie am alten Nürburgring, das wäre doch ein Knaller. Oder wieso arbeitest du nicht mehr mit überhöhten Passagen? Steilwände sind doch überaus spektakulär. Ich fände auch nach aussen hängende Kurven gut, also sagen wir eine Links, deren Fahrbahn aber nach rechts abfällt.»

Tilke hörte sich die Ideen des Laien-Architekten mit grosser Geduld an und erklärte mir dann, dass die FIA beim Pistenbau strenge Vorgaben macht. Damit sind extreme Steilwände oder Sprunghügel gleich mal vom Tisch. Und auch beim Untergrund ist es eben nicht mehr möglich wie damals beim Grossen Preis der Schweiz im Berner Bremgarten-Quartier oder in Porto, dass die Formel-1-Renner über Kopfsteinpflaster rasen. «Das wäre von der Haftung her indiskutabel, und im Falle Baku kommt noch dazu, dass der Untergrund geschützt ist. Du kannst in einer Altstad nicht machen was du willst.»

Womit wir halbwegs elegant den Bogen zum kommenden Grossen Preis von Aserbaidschan geschafft haben. Tilke erzählt: «Wir hatten in Baku tatsächlich die etwas spezielle Aufgabe, dass wir an zwei Passagen auf Kopfsteinpflaster fahren müssten. Diese zwei Passagen gehören zum historischen Teil der Stadt. Zu meinem persönlichen Bedauern ist das in der Formel 1 nicht erlaubt. Also mussten wir Mittel und Wege finden, diese beiden Stellen abzudecken. Diese temporäre Lösung besteht aus Sand und dann aus einer Asphaltschicht, die anschliessend wieder abgetragen wird. Die Anschlüsse sind dabei durchaus knifflig, wir können dort ja nicht gut Stufen hineinbauen. Wir fahren im Grund also durchaus auf Kopfsteinpflaster, aber halt eben nicht direkt darauf.»

Der Grand Prix von Aserbaidschan bleibt mindestens inklusive 2023 Teil der WM. Ein entsprechendes Abkommen ist von Formel-1-CEO Chase Carey und Sportminister Azad Rahimov Anfang Februar 2019 unterzeichnet worden. Über die Rahmenbedingungen, will heissen: die Höhe der Antrittsgebühr wird nichts kommuniziert.

Formel-1-CEO Chase Carey: «Wir freuen uns, dass wir dieses Abkommen verlängern konnten. Es hat sich in sehr kurzer Zeit zu einem überaus populären WM-Lauf entwickelt.» Dahinter setzen wir mal ein Fragezeichen. Der Aserbaidschan-GP findet 2019 zum vierten Mal statt. Gewiss, die Strecke ist spektakulär, die Rennen 2017 und 2018 waren echte Thriller. Leider bleibt die Zuschauerkulisse eher ärmlich. 2016 soll die Premiere an der kaspischen See knapp 30.000 Fans angelockt haben, diese Zahl blieb unbestätigt. Gerüchten zufolge wurden nur 19.000 Eintrittskarten verkauft. Für eine Grand-Prix-Premiere eine niederschmetternde Zahl.

Als Ergebnis 2017 wurde angegeben: Mehr als 71.000 Fans in Baku. Ich war dort. Wenn das 71.000 Fans waren, dann werde ich 2020 Nachfolger von Valtteri Bottas bei Mercedes. Nur an einigen Stellen (Start/Ziel-Gerade, Ausgang Stadtmauerpassage) waren die Ränge wirklich gut gefüllt. Das Layout der Piste macht das Aufstellen weiterer Tribünen schwierig.

Damit wir uns richtig verstehen: Baku ist ein fabelhafter Strassenkurs, und die Gastfreundschaft der Aserbaidschaner ist entwaffnend. Die Fahrer lieben den Kurs. Aber das Rennen bleibt umstritten. «Länder wie Aserbaidschan zahlen zwar hohe Antrittsgebühren, aber diese Grands Prix erreichen nichts, um die Marke Formel 1 zu verbessern», kritisierte 2017 ausgerechnet Greg Maffei, Geschäftsführer von Formel-1-Grossaktionär Liberty Media. «Unser Job ist es, Partner zu finden, die uns gut bezahlen, aber uns gleichzeitig auch helfen, das Produkt zu stärken.» Was durch leere Tribünen nicht unbedingt gelingt.

Die Reaktion aus Baku liess nicht lange auf sich warten: «Mister Maffei hat weniger als ein halbes Jahr mit der Formel 1 zu tun. So etwas zu sagen, ist ignorant. Wir bezahlen einen Batzen Geld», schoss Baku-Streckenpromoter Arif Rahimow zurück. Der US-Amerikaner relativierte daraufhin seine Kritik. Sie war so sinnvoll wie das Verbot der Grid-Girls, davon von Maffei ausgegangen war.

Knatsch hin oder her: Auch in China hat es Jahre gedauert, bis mehr Zuschauer auftauchten. Sportminister Azad Rahimov beteuert: «Wir sehen, wie jedes Jahr mehr und mehr Fans in unser Land kommen.»

Der Grosse Preis von Aserbaidschan ist kein 0815-Grand Prix. Bei der Premiere 2016 fuhr Williams-Fahrer Valtteri Bottas einen sagenhaften Speed von 378 km/h – und das auf einem Strassenkurs!

Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke hat vor Jahren den Kurs in Baku erdacht und war vom Ablauf der Bauarbeiten angetan. «Da sind wir sehr angenehm überrascht worden – der Umgang ist absolut problemlos, wir pflegen ein kollegiales Verhältnis. Die Menschen, mit denen wir unten zu tun haben, hören zu und sind sehr hilfsbereit, dazu sprechen sie ein sehr gutes Englisch und sind generell hervorragend ausgebildet.»

Ebenfalls ungewöhnlich: Die Piste ist teilweise enger als Monte Carlo. Hermann Tilke: «Diese enge Passage zu Beginn der Altstadtsektion ist eine Herausforderung, der mit ungewöhnlichen Lösungswegen begegnet werden musste. Natürlich gibt es diesbezüglich FIA-Vorgaben, aber zum Glück waren die nicht starr, sondern der Autoverband liess mit sich reden. Wir fahren in Baku an einer Stadtmauer vorbei aus dem 12. Jahrhundert, die konnten wir schlecht verschieben! Aber das macht die Piste ja auch so besonders. Baku ist auch für uns als Pistenbauer ein echtes Erlebnis. Man wirft der Formel 1 ja immer eine gewisse Sterilität vor. Das kann in Aserbaidschan gewiss keiner behaupten.»

Tilke weiss auch von einer Anekdote über das grosse Gebäude, Hintergrund des Formel-1-Fahrerlagers: «Das heisst zwar Government House, ist aber nicht der eigentliche Regierungssitz, sondern da sind verschiedene Ministerien untergebracht – ein tolles Monumentalgebäude, zu dem in Baku eine Geschichte kursiert, von der ich zugeben muss: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie stimmt. Das Gebäude wurde zwischen 1936 und 1952 erstellt, teilweise mit Hilfe von deutschen Kriegsgefangenen. In Baku hält sich die Story, die Deutschen seien an einem gewissen Punkt in den Streik getreten. Sie wollten nicht mehr weiterarbeiten. Nicht etwa, weil sie schlecht behandelt wurden, sondern vielmehr, weil sie fanden: Die Zementqualität sei viel zu schlecht. Sie haben erst dann die Arbeit wiederaufgenommen, als sie besseren Zement bekommen haben. Die Geschichte hält sich bis heute als urbaner Mythos von Baku.»

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