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Strafe Sebastian Vettel: Lauda hätte Klartext geredet

Von Mathias Brunner
Martin Brundle mit Lewis Hamilton und Sebastian Vettel

Martin Brundle mit Lewis Hamilton und Sebastian Vettel

​Sky-GP-Experte Martin Brundle sagt zur umstrittenen Strafe gegen Sebastian Vettel: «Das war schwach von den Rennkommissaren. Ich bin sicher, Niki Lauda hätte Klartext geredet, auch gegen das eigene Team.»

Der Engländer Martin Brundle (60) spürte die Enttäuschung von Sebastian Vettel hautnah nach diesem dramatischen Grossen Preis von Kanada. Der 158fache GP-Teilnehmer und Sportwagen-Weltmeister führte die ersten Interviews mit den Stars Lewis Hamilton und Vettel. Brundle sagt in seiner Kolumne für die britischen Kollegen der Sky klipp und klar: «Das war schwach von den Rennkommissaren, Vettel eine Fünfsekundenstrafe aufzubrummen. Ich fand diese Strafe nicht zwingend. Aber selbst wenn die Regelhüter fanden, man müsste etwas unternehmen, so hätte man damit bis nach dem Rennen warten können – das hätte den Fans ein spannendes Finale beschert, und die Kommissare hätten in Ruhe mit beiden Piloten sprechen können, um ihre Standpunkte zu hören.»

«Ich will nicht auf den Rennkommissaren herumhacken, sie sind gebunden an Regeln, Daten, Abläufe, Videobilder und Präzedenzfälle. Natürlich müssen sie den Regeln folgen und Schiri spielen, sonst würde Anarchie herrschen. Einer der vier Kommissare in Montreal war Emanuele Pirro, der mit Leidenschaft und Fachwissen arbeitet und der dem Sport mehr gibt als er davon bekommen hat.»

«Auslöser des ganzen Schlamassels war ein Fahrfehler von Vettel. Ob er in Luftturbulenzen eines Nachzüglers geriet oder vielleicht ein wenig neben die Ideallinie oder ob er ein klein wenig zu schnell war – das Heck seines Ferrari brach jedenfalls aus. Es war ein kleiner Fehler, gewiss nicht grösser als die Fehler von Lewis Hamilton, der zur Haarnadel hin einige Male ein Rad blockieren liess und geradeaus rutschte.»

«Das grösste Problem nun: Formel 1 ist kein Sport wie Tennis, mit Linien und einem Netz und einem Ball. Allein das Spielfeld variiert ständig, mit all diesen komplett verschiedenen Rennstrecken. Es ist eine der Aufgaben des Rennfahrers, ständig am Limit zu balancieren, an der Haftgrenze aus dem, was Strecke, Wetter, Spritlast und Reifenzustand erlauben.»

«Ganz besonders bei einem so tollen Duell wie hier zwischen Vettel und Hamilton hat ein Fahrer keine Sicherheitsmarge, um noch ein wenig zaubern zu können, sollte denn etwas schiefgehen.»

«Dazu kommt das Pistenlayout. Die schnelle Kombination der Kurven 3 und 4 auf dem Circuit Gilles Villeneuve ist schlecht einsehbar, bucklig, rutschig, die Piste führt – was am Fernsehen kaum zu erkennen ist – abwärts und mündet in ein Tunnel aus Mauern. Vom ersten Moment an war klar: Vettel würde in einem merkwürdigen Winkel auf die Bahn zurückkehren oder geradeaus in die Mauer fahren.»

«Lewis wusste das alles, und daher konnte er es vermeiden, mit dem Ferrari zusammen zu rasseln. Hamilton ist ein absoluter Instinktfahrer, in dieser Situation hinter einem sehr schnellen Rivalen, es liegt in der Natur eines Racers, dass er sofort versucht, aus dem Fehler des Gegners Profit zu schlagen. Aber er konnte sich nicht vorbeizwängen, weil rechts die Mauer lauerte.»

«Was Vettel gegen Hamilton tat, das war nicht so brüsk wie die Aktion von Hamilton gegen Daniel Ricciardo in der Hafenschikane von Monaco 2016 – die keine Strafe nach sich zog.»

«Auf einer anderen Piste wäre dort kein Gras, sondern Asphalt, und Vettel wäre ohne grossen Zeitverlust auf die Ideallinie zurückgekehrt. An anderen Stellen wären dort vielleicht ein Poller, welchen der Fahrer auf der korrekten Seite passieren muss, um auf die Piste zurückzukehren, da hätte Vettel seine Führung wohl verloren. Aber hier gab es weder das eine noch das andere.»

«Unterschiedliche Pistengeographie hin oder her, die Rennkommissare sind dazu verpflichtet, Strafen gleichmässig auszusprechen. Die Besetzung dieser vier Posten ist unterschiedlich, aber es stehen ihn bei allen Rennen die gleichen Daten zur Verfügung. Gleichwohl sind Auslegung und gesunder Menschenverstand wichtige Faktoren.»

«Was sie nicht in Erwägung ziehen dürfen: dass es um die Führung und den Sieg geht. Ein Fussball-Schiri gibt auch keinen Penalty, um die Show zu begünstigen. Aber ich bleibe dabei – hier hätten sie sich für eine Untersuchung nach dem Rennen entscheiden müssen. Möglicherweise hätte sich das Problem ohnehin von selber erledigt, wenn Hamilton Vettel vor dem Ziel überholt hätte.»

«Ich hatte die Ehre, die Interviews im Anschluss an den Grand Prix zu führen. Sebastian zog es vor, sein Auto nicht ins Parc fermé der ersten Drei zu stellen. Als ich mit Lewis sprach, wurde laut gebuht. Das fand ich unfair, denn Lewis hatte keinen Fehler gemacht, und er hatte auch keine Strafe ausgesprochen. Ganz im Gegenteil war er so wie Vettel stark gefahren.»

«Gerade als ich mich von dannen machen wollte, wurde mir mitgeteilt, Vettel würde auf dem Siegerpodest auftauchen, und ich solle bitte versuchen, dort mit ihm zu sprechen. Und, falls möglich, Hamilton dazu holen. Anders gesagt: mit einem sehr wütenden Vettel plaudern und seinen Erzrivalen herbeiziehen, der eben ausgebuht worden war. Ich dachte: Das kann ja heiter werden!»

«Ich mag die Geistesgegenwart von Sebastian, auf dem Weg Richtung Siegerpodest rasch die Positionstafeln 1 und 2 zu vertauschen, also die 1 zu jener Stelle zu rücken, wo sein Ferrari als Siegerwagen hätte stehen sollen. Und ich bewundere es, wie er sofort einschritt, als die Leute bei Hamilton wieder zu buhen begannen. Vettel ist Traditionalist, in vielerlei Hinsicht alte Schule, und er wäre der Erste, der uns daran erinnern würde, was die FIA für 2019 eigentlich versprochen hatte, den Piloten eine längere Leine zu lassen und sie nicht ständig zu massregeln.»

«Ich habe nicht in der Rennleitung gesessen. Keiner weiss, welchen Einfluss Charlie Whiting gehabt hätte. Aber ich bin mir ziemlich sicher – Niki Lauda hätte nach diesem Rennen Klartext geredet, auch gegen das eigene Team.»

«Das ist jetzt ein wenig romantisch verklärt, aber Lewis und Mercedes hätten dem Sport einen Riesengefallen tun können, und sich selber auch, indem sie Ferrari hätten sagen sollen – stellt sicher, dass Leclerc uns nicht attackiert, dann lassen wir uns mehr als fünf Sekunden hinter Vettel fallen. Was für eine sportliche Geste das gewesen wäre! Auf der anderen Seite: Hamilton fuhr ein tolles Rennen, letztlich hat er Vettel in einen Fehler gehetzt, wieso sollte er freiwillig auf den Sieg verzichten?»

«Ferrari hat angekündigt, vielleicht Berufung einzulegen. Ich sehe jedoch keinen Weg, wie sie das Urteil von Monaco kippen wollen.»


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