Formel 1: Günther Steiner rechnet ab

Helmut Marko und Pirelli-Wirbel: Aussagen aufgeblasen

Von Günther Wiesinger
​Red Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko sparte nach dem Kanada-GP nicht mit Kritik an Pirelli. Im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com erläutert der Steirer die Ursachen seines Ärgers.

In der Formel 1 gehen die Wogen hoch. Dr. Helmut Marko, gelernter Rechtsanwalt und erfolgreicher Red Bull Racing-Berater, äußerte zuletzt recht unverhohlen Kritik an Reifen-Alleinausrüster Pirelli. Haben die Italiener dem Mercedes-Team die neue Reifen-Spezifikation mit der um 0,4 mm verringerten Lauffläche früher angeboten als den anderen Teams? Dieser Verdacht wurde in den Raum gestellt, zur Erklärung der Überlegenheit von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas.

Aber Mercedes dominierte in der Formel-1-WM auch in den fünf Jahren vor 2019 auf ähnliche Weise. Und bei Pirelli wird beteuert, alle Teams hätten die neuen Reifen in Abu Dhabi nach der Saison 2018 testen können, auch nachher bei den Wintertests in Barcelona – es seien keine Klagen laut geworden.

Da lässt sich der Vorwurf heraushören, Ferrari und Red Bull Racing suchten Ausreden oder Erklärungen für das nicht zufriedenstellende Abschneiden. Denn die Scuderia rechnete sich vor der Saison ernsthafte Titelchancen aus, Red Bull Racing traute sich im ersten Jahr mit Honda fünf Siege zu. Aber nach 7 von 21 Rennen hat Max Verstappen 2019 noch keinen Grand Prix gewonnen, und auch die ruhmreiche Scuderia Ferrari steht sieglos da.

Bei «autobild.de» wurde Marko mit folgenden Worten zitiert: «Ich kann zwar nicht beweisen, dass Mercedes früher Daten bekommen hat als wir, aber ausschließen kann ich es auch nicht. Es fördert jedenfalls nicht das Vertrauen, wenn man Libertys (die Formel-1-Vermarkter; die Red.) Mercedes-Dienstwagen mit Stuttgarter Nummer im Fahrerlager von Monaco stehen sieht – und der auch noch Pirelli-Reifen draufhat. Wir bei Red Bull werden uns jedenfalls die zukünftige Entwicklung der Formel 1 sehr genau anschauen. Und es wird auch Gespräche mit Pirelli geben.»

Fakt ist: Die Mehrheit der Teams hat mit den neuen Reifen keine Freude. Pirelli-Rennchef Mario Isola will aber für 2019 nichts ändern. Eine Änderung für die Saison 2020 schließt er hingegen nicht aus: «Wir werden auf den Erfahrungen, die wir in dieser Saison machen, neue Mischungen für 2020 entwickeln. Vielleicht ändert sich damit auch die Stärke der Laufflächen.»

Helmut, hat Red Bull Racing den Verdacht, Mercedes habe die neue Reifen-Spezifikation für 2019 von Pirelli früher erhalten als die Gegner?

Nein, das habe ich nie gesagt. Ich habe nie behauptet, Mercedes habe die Reifen früher gekriegt.

Mercedes hat jedoch mit den Reifen, die mehr Gummiauflage hatten, immer Probleme gehabt. Seit der neue Reifentyp verwendet wird, hat Mercedes keinerlei Probleme mehr. Alle anderen Teams haben sie.

Aber ich will mich nicht dafür rechtfertigen, wenn gewisse Aussagen von mir aufgeblasen oder aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Ich habe nur gesagt: Dieser Reifentyp wurde erstmals 2018 in Silverstone neu eingesetzt. Und dort hat Mercedes souveränst gewonnen.

Seit dieser Reifentyp jetzt kontinuierlich eingesetzt wird, ist Mercedes das einzige Team, das mit jedem Reifentyp auf jeder Strecke bei jeder Temperatur sofort absolut konkurrenzfähig ist. Alle anderen Hersteller haben immense Probleme.

Pirelli-Rennchef Mario Isola betont, man habe die Lauffläche aus Sicherheitsgründen reduziert. Das werde man in diesem Jahr nicht mehr rückgängig machen.

Nicht die Mehrheit der Teams wollte diese Änderung, sondern es ist eben so passiert.

Der neue Reifentyp wurde aber nach der Saison 2018 in Abu Dhabi getestet, es gab insgesamt 20 Mischungen. Es kamen nie Beschwerden von den Teams, auch bei den Wintertests in Barcelona im Februar nicht, wird von Pirelli erwidert.

Im Winter war die Problematik nicht so absehbar. Der Wintertest findet bei so tiefen Temperaturen statt, die du sonst das ganze Jahr nie mehr vorfindest. Zu diesem Zeitpunkt dachte man noch, das kann man irgendwie korrigieren. Was aber nicht der Fall war.

Die Situation ist verfahren. Denn es müssten sieben von zehn Teams für eine Änderung stimmen. Sonst bleibt alles beim Alten. Mercedes hat aber schon drei Teams und kann somit alles blockieren. 

Ja, so schaut es derzeit aus. Wobei ja nicht nur wir uns beschweren. Ferrari ist einer der härtesten Kritiker von diesem Reifentyp.

Die Satellitenteams von Mercedes dürfen natürlich nichts sagen. Das weiß man ja. Komischerweise ist auch McLaren momentan der Ansicht, dass ihnen der Reifen nicht schadet. Also haben wir die erforderlichen sieben Teams nicht beisammen.

Jetzt schauen wir mal. Das Ganze ist noch nicht ausgestanden.

Ich habe das Thema jetzt einmal öffentlich gemacht. Die meisten anderen reden ja bis jetzt nur hinter vorgehaltener Hand darüber.

Hast du im Zuge deiner Kritik auch erwähnt, dass Mercedes als Autohersteller für Pirelli ein potenzieller Geschäftspartner für die Erstausrüstung ist, während Red Bull Energy-Drink-Dosen herstellt?

Ich bin für klare Aussagen. Aber es lässt sich nicht beweisen, dass Mercedes die Reifenspezifikation früher bekommen hat als die anderen Teams. Deshalb würde ich so etwas nie öffentlich sagen.

Du bist aber so zitiert worden.

Ja, was wird nicht alles zitiert? Es wird auch geschrieben, dass Herr Gasly durch den Hülkenberg ausgewechselt wird. Das war auch zu lesen. Weiß der Teufel, was sonst noch alles zitiert wird.

Pirelli-Manager Isola behauptet, Mercedes habe ein besseres Auto gebaut. Die enttäuschten Gegner suchten nach Ausreden oder Entschuldigungen, ließ er durchblicken.

Wenn neun Teams Probleme haben, oder sagen wir acht, wenn wir McLaren weglassen, geht es nicht um Ausreden.

Es geht darum: Warum hat man ab Montreal eingeführt, dass du deine Aufwärmrunde mit einem gewissen Tempo fahren musst? Das ist ein Sicherheitsargument, weil die Aufwärmrunde heutzutage noch viel schwieriger ist als die Qualifikationsrunde, weil es so kritisch ist, den Reifen in das richtige Temperaturfenster zu kriegen.

Auch Lewis Hamilton hat erwähnt, er wünsche sich einen Reifen, mit dem man wieder «racen» kann.

Warum soll ich mich für gewisse Aussagen rechtfertigen? Ich zeige einen Missstand auf, weil ich möchte, dass man den Sport mit relativ einfachen Mitteln wieder viel näher zusammenbringt.

Ich habe nicht gesagt, dass Mercedes die Reifenspezifikation früher gekriegt hat.

Aber Tatsache ist: Der Reifen kommt dem Mercedes bei weitem am besten entgegen. Das ist ein Fakt, weil viel weniger Gummiauflage besteht und sie in der Vergangenheit immer Blasenbildung gehabt haben.

Die TV-Quoten gehen zurück. Deshalb müssen wir überlegen, was wir dagegen machen können.

Das Motoren-Reglement kriegt man nicht weg, weil unverschämt viel Geld für diese Technologie ausgegeben wurde. Deshalb wird jeder Vorstand sagen: Das lassen wir so. 

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