Neue Formel-1-Strecken: Volltreffer und Vollpfosten
Formel-1-Grossaktionär Liberty Media will den WM-Kalender ausbauen. Für die kommenden zwei Jahre sind Rennen in Vietnam, Argentinien und Miami angedacht. Dabei will sich Formel-1-CEO Chase Carey zu Herzen nehmen, was der frühere BMW-Rennchef Dr. Mario Theissen vor Jahren auf den Punkt brachte: «In der Formel 1 muss die Mischung stimmen – traditionelle Strecken, welche die DNA des GP-Sports verkörpern, wie Monza oder Silverstone oder Monaco, gepaart mit neuen, aufregenden Orten, wie Singapur oder Abu Dhabi.»
Nicht alle neuen Austragungsorte zeugten von einer glücklichen Hand. Eher von tiefen Taschen der früheren Formel-1-Führung.
Wenn wir uns neuen Standorte anschauen – wer sich etabliert hat, wer kämpft, wer zum Scheitern verurteilt war – dann zunächst ein Hinweis: Natürlich haben wir den herrlich gelegenen Red Bull Ring in der Steiermark nicht vergessen und auch nicht die verrückten Mexikaner am Autódromo Hermanos Rodríguez. Beide Strecken wurden jedoch umgebaut und sind damit strenggenommen Rückkehrer, keine Neulinge. Österreich und Mexiko sind willkommene Bereicherungen im Formel-1-Programm; die Steiermark, weil der Sport mehr Visionäre wie Didi Mateschitz und mehr europäischen Pisten braucht, und Mexiko, weil die Stimmung entlang der Stadtrennstrecke mit dem wohligen Wahnsinn von Monza oder Interlagos zu vergleichen ist.
Schauen wir uns die neuen Strecken mal im Detail an.
Bahrain: Üppig finanziert
Bahrain hat sich seit 2004 etabliert. Wir könnten nicht behaupten, dass die Fans die arabische Insel vor Begeisterung überrennen. Aber alles deutet darauf hin, dass der Bahrain-GP bleibt, von der Königsfamilie üppig finanziert. Die Umstellung auf ein Nachtrennen 2014 hat mehr Fans zur Rennstrecke gelockt, die Rennen sind interessanter geworden, die Autos sind unter künstlichem Licht attraktiver als in gleissender Nachmittagssonne.
Bewertung: gut.
Shanghai: Aufwärtstrend
Shanghai hat seit 2004 eine seltsame Entwicklung genommen: Bei der ersten Ausgabe kamen sehr viele Neugierige, dann verflachte das Interesse. In den vergangenen Jahren jedoch haben die chinesischen Organisatoren erheblich mehr Werbung für ihr Rennen gemacht, und das wirkt sich positiv aus. Die Zuschauerzahlen steigen, auch dank des Bahnhofs direkt an der Rennstrecke, der in den ersten Jahren gar nicht in Betrieb war.
Bewertung: genügend.
Türkei: So nicht
Die Formel 1 in der Türkei ist da Prachtsbeispiel einer verpassten Chance. Das ist sehr bedauerlich, denn der 2005 erstmals genutzte Rennkurs war anspruchsvoll und bei den Piloten beliebt. Leider war die Strecke zu weit von der tollen Stadt Istanbul entfernt. Den meisten Türken schien es völlig schnuppe zu sein, dass in ihrem Land ein Autorennen stattfindet. Nach 2011 war Schluss.
Bewertung: schlecht.
Valencia: Falsches Timing
Valencia ist vielleicht am Timing gescheitert: Spanien im Allgemeinen und Valencia im Besonderen sind in enorme wirtschaftliche Probleme geschlittert, da wurden 30 Millionen Euro Antrittsgebühr für die Formel 1 zu einem obszönen Luxus. Die Strecke am Meer war hübsch anzusehen, aber die Piloten fanden sie einfallslos, die Fans gähnten sich in den meisten Rennen der Zielflagge entgegen. Die Zuschauerzahlen? Im ersten Jahr 2008 ordentlich, dann im freien Fall. Das Rennen beschäftigt wegen zweifelhafter Geldflüsse bis heute die Gerichte.
Bewertung: mangelhaft.
Singapur: Ein sofortiger Klassiker
Singapur hat ab 2008 das Kunststück geschafft, in kürzester Zeit ein Klassiker zu werden: Die Atmosphäre beim ersten reinen Nacht-GP ist einmalig und elektrisierend und die Piste der Hammer, eine Stadt liegt im Formel-1-Fieber. Die Fahrer lieben die Herausforderungen der Buckelpiste, gepaart mit der Hitze. Die Veranstalter verwöhnen die Fans mit Weltklase-Konzerten – so geht das heute! Das Rennen ist jedes Mal ausgebucht.
Bewertung: sehr gut.
Abu Dhabi: Geld spielt keine Rolle
Abu Dhabi debütierte 2009. Die komplette Anlage ist angeblich die teuerste der Welt, mit allem Drum und Dran steckt wohl eine Milliarde Dollar in diesem Traum aus 1001 Nacht. Das Rennen mit Start bei Sonnenuntergang hat sein eigenes Flair, der Rahmen mit dem atemraubenden Yas-Hotel und den Yachten glamourös und exotisch. Die Zuschauerzahlen bewegen sich ungefähr auf dem Niveau von Bahrain, aber das ist den Arabern herzlich egal. Die Rennstrecke ist für sie die Chance, sich weltweit in die Auslage zu stellen. Nur das zählt.
Bewertung: gut.
Südkorea: Komplette Schnapsidee
Südkorea war die Schnapsidee eines Staatschefs, der seiner Heimatregion etwas Gutes tun wollte. Eine Formel-1-Rennbahn 300 Kilometer von der Weltstadt Seoul entfernt im Nichts – wie sollte das bitteschön gutgehen? Die Mittel fehlten, um die Piste in Schuss zu halten. Die geplante Stadt um die Strecke herum blieb der feuchte Traum von Computergrafikern. Unvergessen wie die Teams 2011, ein Jahr nach der Premiere, in den Kühlschränken die Essensreste vom Vorjahr fanden! Am Fusse des Siegerpodests lag ein Korken von der Siegesfeier zwölf Monate zuvor. Kurios, wie die meisten Angehörigen des GP-Zirkus in Stundenhotels untergebracht wurden, die üblichen Mieterinnen eine Woche vor dem Grand Prix in Busladungen ausser Reichweite gekarrt. Die Südkoreaner pokerten mit Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone um eine niedrigere Antrittsgebühr. Der strich daraufhin gnadenlos das Rennen. Die Piste zerbröselt als Bauruine.
Bewertung: schlecht.
Indien: Keiner will zurück
Nur drei Mal gab es einen Indien-GP, und kaum einer im Fahrerlager weint dem Rennen eine Träne nach: Jämmerliche Bausubstanz, Steuerstreit, unfassbare Zustände im Grossraum Delhi. Die frühere Formel-1-Führung stolperte halb blind dem Wachstumsmarkt Indien hinterher, aber das Zuschauerinteresse liess nach ordentlichem Besuch im ersten Jahr schlagartig nach. Die Piste liegt zu weit weg vom Zentrum Delhis, unddie meisten Inder setzen ihre Prioritäten völlig richtig – lieber einen Monat lang zu essen als eine GP-Eintrittskarte.
Bewertung: schlecht.
Texas: Ein Zuhause in den USA
Auch wenn das GP-Wochenende 2015 wortwörtlich ins Wasser fiel – die Texaner haben der Formel 1 endlich ein passendes Zuhause gebaut. Eine tolle Rennstrecke mit ganz besonderem Flair ausserhalb einer sympathisch-dynamischen Stadt. Der Formel-1-Tross fühlt sich hier willkommen und wohl.
Bewertung: sehr gut.
Sotschi: Mehr Pfeffer, bitte
Grundsätzlich sieht die Rennstrecke um die Bauwerke der Olympischen Winterspiele 2014 aufregend und ungewöhnlich aus. Aber vor Ort wirkt die Anlage seelenlos. Das Premierenrennen war zum Davonlaufen, die Zweitausgabe 2015 hingegen spannend – was am ungewöhnlichen Training lag. Wegen Regens konnten die Rennställe kaum Erfahrungen sammeln, das Rennen war ein Schritt ins Unbekannte. Das ergibt unterhaltsame Grands Prix. 2016 versuchten die Russen nach zwei Herbst-GP etwas Anderes – das Rennen wurde in den Frühling versetzt. Prompt stiegen die Zuschauerzahlen.
Bewertung: genügend.
Baku: Versprechen gehalten
Die Formel 1 geht nach Aseribaidschan, da wurden nicht alle von Begeisterung übermannt: Die Motorsporttradition im ölreichen Land ist überschaubar. Bernie Ecclestone und Flavio Briatore hatten den Weg zum Strassenrennen in Aserbaidschan geebnet, für 50 Millionen Dollar im Jahr tritt dort unser Wanderzirkus an. «The speed is higher in the land of fire», versprachen uns die Organisatoren des Stadtrennens von Baku, und sie hielten Wort: Valtteri Bottas fuhr auf der Geraden 378 Sachen! Die Fahrer schwärmten von der haarigen Fahrt durch die Altstadt. Im zweiten Jahr wurde das Rennen zum wahren Drama, mit Unfällen hüben und drüben und einem Sebastian Vettel, dem die Tassen im Schrank ein wenig durcheinander gerieten: Rammstoss gegen Lewis Hamilton. Schnell und spektakulär, dazu eine reizvolle Kulisse, Baku wäre auf gutem Weg – wenn wir nur mehr Zuschauer hätten! 30.000 Fans sind für die schnellste Formel 1 aller Zeiten eine unwürdige Kulisse.
Bewertung: gut.